Gefängnisseelsorge: Bildung statt Religion

In der Diskussion um die Leistungen der Landeskirchen für die Allgemeinheit wird unter anderem jeweils auch die Spital- und die Gefängnisseelsorge erwähnt. In der Spitalseelsorge verhelfen Datenschutz und Interventionen der FVS die Erkenntnis durchzusetzen, dass die VertreterInnen der Kirchen nur da PatientInnen besuchen, wo sie explizit erwünscht sind. Das lässt sich auf dem Spitaleintrittsformular auch dort vermerken, wo es noch nicht vorgesehen ist. In vielen Spitälern gibt es auch Freiwilligenorganisationen, die einsame PatientenInnen besuchen, sich mit ihnen unterhalten, ihnen etwas vorlesen, mit ihnen einen Spaziergang machen.

In der Gefängnisseelsorge sieht das anders aus. Viele der Inhaftierten sind nicht  Mitglied einer Landeskirche. Trotzdem wünschen sie den Besuch der Seelsorge. Grund dafür ist laut einem Bericht in der Reformierten Presse vom 10.9.2010: „Viele Insassen seien froh, dass sie überhaupt jemand von ausserhalb des Strafvollzugs besuche, sagt Andreas Pauli, Pfarrer in Bremgarten und Seelsorger in der Strafanstalt Lenzburg sowie in der Untersuchungshaft in Aarau.” Einzelhaft und Langeweile setzen den Menschen zu und entsprechend nehme die Religiosität von Menschen in der Haft zu.

Auxilia Formation

Das soll sich ändern. Schon seit vielen Jahren gibt es Initiativen für Bildungsangebote im Gefängnis. „Auxilia Formation”: Individuelles Lernen im Gefängnis Seit mehr als 25 Jahren besteht in der Schweiz ein Verein, der individuelle Kurse in Strafanstalten anbietet. Die Auxilia-Idee der Weiterbildung hinter Gittern entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich. 1984 gründete die Französin Simone Payne die „Auxilia Formation Schweiz”. Heute stehen rund dreissig ehrenamtlich tätige Lehrerinnen und Lehrer im Einsatz. Sie unterrichten in 18 Strafanstalten der Kantone Bern, Genf, Neuenburg, Waadt und Wallis über 200 Inhaftierte. Für ihren Aufwand werden ihnen lediglich die Reisespesen vergütet. Das Bemühen von Auxilia wird etwa von Paul Loosli, dem Leiter des Regionalgefängnisses Thun, geschätzt und unterstützt. Bildung sei im Strafvollzug sehr wichtig, weil schulische Bildung „neue Perspektiven bieten und den Weg in ein straffreies Leben erleichtern können”. Bildung diene „unmittelbar dem Urzweck unseres Strafrechts, nämlich der Verhinderung weiterer Straftaten und der Resozialisierung der Täter”. www.auxilia-formation.ch

SAH: Bildung im Strafvollzug

Seit 2007 hat das Schweizerische Arbeiterhilfswerk zusammen mit der Drosos-Stiftung ein Pilotprojekt in acht Gefängnissen durchgeführt: Basisbildung soll es den Inhaftierten ermöglichen, ihre persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten wahrzunehmen. Zudem können sie ihr Wissen erweitern und ihre Selbst- und Sozialkompetenzen erhöhen. Durch die erweiterten Handlungskompetenzen erleichtern sie sich die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und erhöhen ihre Chancen bei der Integration in die Arbeitswelt. www.sah-zs.ch

Kantone engagieren sich Ab 2011 wird das Projekt des SAH in eine feste Einrichtung überführt und aus öffentlichen Mitteln finanziert. Rund 6,5 Mio. Franken sollen in den nächsten fünf Jahren für den Aufbau von 155 Lerngruppen in 27 Anstalten der ganzen Schweiz investiert und damit Bildungsangebote für einen Drittel der Inhaftierten geschaffen werden. Der Unterricht findet in kleinen Gruppen während eines halben Tages pro Woche statt und wird von einer ausgebildeten Lehrperson erteilt. Ein weiterer Schritt der Verstaatlichung sozialer Aufgaben und ein Schritt zu mehr Bildung statt Religion.