Religion im Schweizer Fernsehen

Im Schweizer Fernsehen werden den Religionsgemeinschaften wöchentlich verschiedene Sendegefässe zugestanden.

„Wort zum Sonntag” Seit 1954 werden in dieser Sendung auf SF1 zu bester Sendezeit am Samstagabend nach der Tagesschau den Zuschauern Gedanken aus „landeskirchlicher Sicht” vermittelt. Rechtliche Grundlage ist eine Vereinbarung zwischen SRG und Kirchen, die 2012 erneuert worden ist. Samstag, 19.55 Uhr, SF 1, Dauer: 4 Minuten

„Sternstunde Religion” In der oben genannten Vereinbarung steht: „Religiöse Struktursendungen setzen sich systematisch mit religiösen Ereignissen und Phänomenen, Personen und Institutionen auseinander und vermitteln religiöse Erfahrungen und Werte auf vielfältige Weise: durch aktuelle Informationen und kritische Reflexionen, durch die Wiedergabe von kultischen Ereignissen, durch Angebote zur Lebensgestaltung und Impulse zur Lebensbewältigung, durch Besinnung auf spirituelle Wurzeln.” Gottesdienstübertragungen: 45 bis 60 Min., 20/Jahr. «Nachgefragt»: 15 Min., 10/Jahr Religionsgespräch: 30 Min., 30/Jahr Dok-Filme zu Religion und Gesellschaft: 30 Min., 30/Jahr Sonntag, 10.00 Uhr auf SF 1, Dauer: 60 Min. Wiederholung am Dienstag um 11.00 Uhr auf SF info

„Bilder zum Feiertag” In „Bilder zum Feiertag” werden seit 2006  sechs- bis achtmal im Jahr Kurzreportagen ausgestrahlt. Sie geben Einblick in Feste und Rituale von Religionen und Konfessionen, die nicht im „Wort zum Sonntag” vertreten sind: Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus, christlich-orthodoxe Kirchen. Jeweils an Feiertagen, 22.20 Uhr (nach der Spätausgabe der „Tagesschau” respektive von „10vor10”) Dauer: ca. 4 Minuten

„Fenster zum Sonntag” Das christliche Missionsunternehmen „ERF Medien” produziert seit 1995 mit der Partnerorganisation „Alphavision” wöchentlich eine halbstündige Sendung. Seit 2006 wird sie auf SF info wiederholt. Trägerin des Projektes ist die Stiftung „Christliches Fernsehen” von freikirchlichen Christen und der Evangelischen Allianz. Sa. 17:15 Uhr SF2 / 18:30 Uhr SF info, So. 12:00 Uhr SF2 / 17:45 Uhr SF info

Auf SF1 stehen also derzeit den „Landeskirchen” pro Woche 125 Minuten für die Selbstdarstellung zur Verfügung. Andere Religionsgemeinschaften werden zu einzelnen Feiertagen in den Kurzporträts der „Worte zum Feiertag” präsentiert. Die zuständige Redaktion will dieses Format in Zukunft eher ausbauen. Auf SF2 kommen weitere 120 Minuten der Freikirchen dazu. In diesen Sendungen führen die Religionsgemeinschaften mehrheitlich selber das Wort oder werden durch wohlgesinnte InterviewerInnen befragt. Eine Auseinandersetzung mit externen kritischen Stimmen findet nicht statt. Kommt hinzu, dass immer wieder zu hohen christlichen Feiertagen die Sternstunde Religion ausgedehnt wird und dafür zum Beispiel an Ostern die Sternstunden Philosophie und Kunst ausfallen. Mit diesen Studio-Verkündungen und Live-Übertragungen von kultischen Veranstaltungen erhalten die „Landeskirchen” auf SF1 einen kaum zu rechtfertigenden Anteil an Sendezeit und damit Produktionskosten und Konzessionsgebühren zulasten von Nicht- und Andersgläubigen.

Beitrag zur Integration? Gemäss Konzession hat SF auch den Auftrag, zur Integration beizutragen. In den religiösen Sendungen lief das allerdings bisher durch die Betonung des interreligiösen Dialogs. Da treffen sich sehr engagierte Gläubige aus verschiedenen Religionen – die grosse Mehrheit der Nichtreligiösen und Nichtpraktizierenden bleibt ausgeschlossen und zappt weg. Neu soll eine Sendung konzipiert werden, welche Integration direkt angeht. Vorbild könnte etwa ein niederländisches Sendeformat („De meiden van Halal”) sein, in dem drei junge, gläubige Musliminnen als Moderatorinnen mit Kopftuch eine Homo-Demo besuchen und über Islam und Homosexualität diskutieren, oder mit einem Komiker eine Nummer, welche sie als beleidigend empfinden. Direkt und ernsthaft, aber nicht bierernst, lebensnah mit Provokation, Konfrontation und Witz, ohne den Integration wohl kaum gelingen kann. Ob das Schweizer Fernsehen diese entwaffnende holländische Direktheit und diesen Humor hinkriegt, wird sich zeigen müssen.

Fremddarstellung Aus den Ergebnissen der Freiburger TV-Studien (siehe unten) wird ersichtlich, dass Religion auf SF1 auch ausserhalb der eigentlichen Religionssendungen omnipräsent ist. Religion wird mehrheitlich als Nebenthema dargestellt, vorwiegend in politischem und kontroversem Zusammenhang oder in Form von Symbolen. Aber auch damit wird der Eindruck der „Normalität” religiöser Symbole oder Deutungen in einer Gesellschaft erweckt, in der selbst die christlichen Feiertage nur noch von einer Minderheit wirklich als solche begangen werden.

NFP 58

Religion im Fernsehen www.nfp58.ch

Eine Teilstudie des NFP 58 (Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft) hat sich mit der Thematisierung von Religion auf Schweizer Fernsehkanälen befasst. Untersucht wurden die TV-Beiträge in der Kalenderwoche 5/2008 auf den staatlichen Sendern SF1, TSR und TSI, sowie auf den privaten Sendern TeleBärn und TeleZüri.

In  48 % der Sendezeit wird in Wort und/oder Bild ein Bezug zu Religion hergestellt, im Detail in: 91 % aller Politiksendungen 83 % aller Sportsendungen 81 % aller Unterhaltungsinfos 80 % aller Spielfilme, Krimis etc. 66 % aller Unterhaltungsshows 41 % aller Infosendungen zu Sachthemen 38 % aller Trailer und Überbrückungen 34 % aller Werbebeiträge

SF1 thematisiert Religion am häufigsten. SF 1 40 %, TSI 35 %, TSR 33 %

Private Sender thematisieren Religion weniger. TeleBärn 16 %, TeleZüri 10 %

Bei SF1 thematisieren 40 % der Sendungen Religion. Dazu gibt es in 54 % der Spielfilme religiöse Bezüge, das sind deutlich mehr als in der Romandie und im Tessin.

Im Tessin fällt der hohe Anteil von Religionsbezügen in Kindersendungen auf. In den anderen Sprachregionen gab es keine Kindersendungen mit Religionsbezug.

Wie christlich ist die Schweiz? Die VerfasserInnen schreiben, dass dies zwar Einheimischen wegen der kulturellen Gewöhnung an christliche Symbole kaum auffallen dürfte, bei Personen mit einem Migrationshintergrund aber der Eindruck einer christlich geprägten Alltagskultur erweckt werde.

Religionspolitische Schlussfolgerung Zum Schluss versteigt sich der „wissenschaftliche Bericht” zu folgender Bemerkung: „Politisch kann man jedoch weiterhin darauf hinwirken, dass Religion und Religionsgemeinschaften zu denjenigen gesellschaftlichen Feldern gezählt werden sollten, die öffentlich relevant sind und damit zu den Gegenständen der professionellen und öffentlich finanzierten Medien gehören.“  www.nfp58.ch

Diese Schlussfolgerung offenbart die religionsfreundliche Grundhaltung der Studie aus der (katholischen) Universität Freiburg! Insgesamt bestätigt sich der Eindruck vieler Konfessionsfreier, dass SF1 der Religion viel Platz einräumt. Die FVS hat sich zum Beispiel im Juli 2010 bei der SF 1 darüber beschwert, dass Beatrice Müller in der Tagesschau bei der Berichterstattung über die Katastrophe in Duisburg neben der Reaktion der deutschen Kanzlerin und des EU-Präsidenten auch eine Verlautbarung des Vatikans zum Betverhalten des Papstes wiedergab – obwohl der Anlass keinen religiösen Bezug hatte, sondern im Gegenteil eine Woche später die Katastrophe von einem Bischof der RKK als Gottes Strafe bezeichnet wurde.

Organisierte Religion und Medien www.nfp58.ch

Eine andere Teilstudie des NFP 58 (Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft) hat 2009 21 Religions- und 35 Medienvertreter über ihre gegenseitigen Ansprüche und Erfahrungen befragt. Darauf aufbauend erfolgt eine quantitative Inhaltsanalyse von Tageszeitungen und Fernsehen in der deutschen und französischen Schweiz.

Religionsgemeinschaften Die Landeskirchen haben genug Ressourcen für professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Kleineren Gruppierungen fehlen die Mittel. Nur der ICF (International Christian Fellowship) und die Freidenker haben eine klare Kommunikationsstrategie und eine „erhebliche Intensität” in der Öffentlichkeitsarbeit.(Der Islamistische Zentralrat IZRS war zum Zeitpunkt der Studie noch nicht aktiv.) Die Religionsgemeinschaften haben das Problem erkannt und Veränderungen eingeleitet.

Redaktionen In vielen Redaktionen gibt es zum Thema Religion keine klaren Zuständigkeiten und Fachkompetenzen. Religion wird dann als relevant eingestuft, wenn sie mit politischen, wirtschaftlichen oder sportlichen Themen kollidiert.

Inhaltsanalyse Die Berichterstattung über Religion wird vom Islam und dem Katholizismus dominiert. Religion an sich ist kaum ein Thema. Die Berichterstattung ist primär negativ geprägt, insbesondere bei den nichtchristlichen Religionen. Juden, Buddhisten kommen darin häufiger als Opfer, Helden oder gute Mütter vor, Muslime – insbesondere Schiiten – als Auslöser von Konflikten, Katholiken oft als Schuldige.

Schlussfolgerungen Die Verfasser der Studie sehen in den Ergebnissen der Analyse Hinweise auf eine unausgewogene Berichterstattung, der auf Seite der Religionsgemeinschaften mit Ausbildung von „Religionskommunikatoren” und auf Seite der Medien der stärkeren Thematisierung von Religion in der Journalistenausbildung begegnet werden soll.

Die Schlussfolgerung der „unausgewogenen Berichterstattung” irritiert. Kann es sein, dass in der Berichterstattung über Religionen die Medien zur Political Correctness gedrängt werden sollen?  Sollen alle Religionen als grundsätzlich friedfertig dargestellt und ihr Konfliktpotenzial schöngeredet werden? Gemäss den publizistischen Leitlinien der SRG bedeutet Ausgewogenheit: „Wird Nachteiliges über eine Person, eine Unternehmung, ein Amt oder eine Organisation verbreitet, müssen sich die Betroffenen im selben Kontext dazu äussern können. Dabei werden sie mit ihren besten Argumenten zitiert. Eine Ausgewogenheit im Sinne von gleich vielen oder gleich langen Statements ist nicht gefordert.”

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