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(file: @@09.08..pdf@@)Zürichsee-Zeitung Bezirk Meilen Montag, 9. August 2010 Zürichsee 2 «Die Kirche hat keine Zukunft mehr» Kirchen abreissen, Papst vor Gericht stellen, Weihnachten abschaffen: Der Hombrechtiker Freidenker Andreas Koch fordert eine radikale Abkehr vom Glauben. Im Montagsgespräch erklärt er, warum. Interview Lucien Scherrer Andreas Koch, warum glauben Sie nicht an Gott? Montagsgespräch Andreas Koch will Kirchensteuer-Zahler mit Provokationen aus dem Busch klopfen man wohl nie zum Denken bringen. Uns geht es vielmehr um jene, die gedankenlos ihre Kirchensteuer bezahlen, obwohl sie nie eine Kirche betreten. Die müssen provoziert werden, damit sie endlich Farbe bekennen. Denn es sind die Indifferenten, die den Weg für die Fundamentalisten bereiten. Kirchensteuern kann man ja auch bezahlen, um die Kirche als soziale Institution zu bewahren. tuscht worden sind. Und dass es mich freut, dass in England deswegen ein Haftbefehl gegen ihn vorbereitet wird. Plädieren Sie neben der Umnutzung der Kirchen auch für eine Abschaffung der christlichen Feiertage? Es gibt keinen plausiblen Hinweis, geschweige denn einen Beweis für sowas. Dass es einen Gott gibt, ist eine Vorstellung, die so ziemlich allem widerspricht, was wir in den letzten 400 Jahren dank den Naturwissenschaften gelernt haben. Mit jedem Tag, an dem wir voranschreiten, wissen wir mehr über den Kosmos, das Leben, die Erde. Für einen naturwissenschaftlich gebildeten Menschen hat das Konzept von Gott überhaupt keinen Platz. Dass es einen Übervater gibt, der für uns da ist, ist zwar eine schöne Vorstellung, aber völlig haltlos. Das viel gepriesene soziale Engagement macht nur etwa 20 Prozent des Budgets einer Kirchgemeinde aus. Der Rest geht in den Selbsterhalt eines Hirngespinsts. Das ist auch der Grund, warum sich die Kirche immer gegen eine strikte Trennung vom Staat wehrt. Nein, aber man könnte sie umbenennen, um an Leute zu erinnern, welche die Menschheit vorwärts gebracht haben. Statt Weihnachten hätten wir dann einen Henry-Dunant-Tag, statt Auffahrt einen Charles-Darwin-Tag und so weiter. Ostern könnte man meinetwegen belassen – zur Erinnerung daran, woran die Menschen früher geglaubt haben. Auf welches Datum prophezeien Sie den Untergang der Kirche? Die vergangene Fussball-WM muss hart für Sie gewesen sein: Es gab kaum ein Spiel, in dem nicht Kreuze geschlagen oder Stossgebete gen Himmel gesandt wurden. Das zeigt doch, dass Religion nicht auf dem Rückzug ist, wie das die Freidenker gerne hätten. Warum ist es so abwegig, an einen Schöpfer zu glauben? Schliesslich weiss niemand, warum es zum Urknall gekommen ist. Warum es dazu kam, weiss ich natürlich auch nicht. Aber ich halte diese Frage für irrelevant. Viel interessanter ist doch, warum die Menschen an eine höhere Macht glauben wollen, die dafür schaut, dass alles gut wird. Religion ist eine menschliche Projektion ins Vakuum, die mit unserem starken Wunsch nach Zuneigung erklärbar ist. Bekreuzigt haben sich vor allem Spieler aus Südeuropa und Lateinamerika, wo die Religion noch stärker verankert ist. Aber ich habe keinen Holländer, Deutschen, Schweizer oder Dänen gesehen, der sich bekreuzigt hat. Im nördlichen Teil Europas ist der christliche Glauben auf dem absteigenden Ast. Die meisten Leute behaupten, dass sie an irgendeine «höhere Macht» glauben. Bohrt man jedoch nach, was damit gemeint sei, merkt man schnell, dass da nicht viel dahinter steckt. Selbst von den Geistlichen weiss man inzwischen, dass die Mehrheit im Grunde nicht mehr gläubig ist. Die erzählen bloss noch irgendwelche Storys über das friedliche Zusammenleben, die ohne Gott, Jesus und den ganzen Firlefanz auskommen. Was noch fehlt, ist der Mut, einen Schlussstrich zu ziehen und das Ganze endgültig zu begraben. Wann das sein wird, ist schwierig zu sagen. Aber je weiter wir mit Wissenschaft und Technik voranschreiten, desto peinlicher werden die religiösen Erklärungsmodelle. Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis man die Kirchen abreissen und die architektonisch wertvollen umnutzen wird – zum Beispiel als Hotels, Beizen oder Diskotheken. In Ländern wie Holland ist das ja bereits im Gange. Die Kirche hat keine Zukunft, und sie sollte auch keine haben. Sind Sie als Atheist gegen traditionelle Rituale wie Hochzeiten und Begräbnisse? Woran glauben Sie das zu erkennen? Gab es in Ihrem Leben ein Schlüsselereignis, das Sie von der Religion entfremdet hat? Überhaupt nicht – es geht ja auch ohne Kirche und Pfarrer. Wir haben in der Freidenker-Vereinigung sogar Leute, die für nichtkirchliche Trauungen als Redner engagiert werden können. Was den Tod betrifft: Ich habe nichts dagegen, wenn meine Asche dereinst vergraben wird und zurück in den Kreislauf gelangt. Statt eines Kreuzes würde ich mir jedoch einen schönen Baum aufs Grab setzen lassen. (lacht) Der Abschied vom Wochenende, der Wiederbeginn der Arbeit und des Geldverdienens. Ein Reset sozusagen. Was bedeutet Ihnen der Montag? Der Glaube hat für mich bereits als Kind keine Rolle gespielt. Im Gymnasium hat mich dann ein Lehrer mit den Ideen der französischen Existenzialisten vertraut gemacht, und während des Studiums an der ETH habe ich gelernt, die Evolution nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zu erleben und zu verstehen. Als ich mit 23 aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, war das eine logische Konsequenz. Derzeit findet aber auch bei uns eine Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft statt – unter anderem wegen der Zuwanderung aus islamischen Ländern. Zur Person Andreas Koch, geboren 1962, ist im Aargau aufgewachsen. Nach der Schulzeit studierte er Naturwissenschaften an der ETH Hönggerberg, wo er ein Doktorat in Biotechnologie abschloss. Derzeit arbeitet er für ein australisches Unternehmen, das innovative Systeme für biologische Forschung im Biotech- und Pharmabereich herstellt. Während fünf Jahren war er zudem als selbständiger Berater für Biotech-Start-ups tätig. Seit 2006 wohnt Koch in Hombrechtikon. Er ist verheiratet und Vater eines zwölfjährigen Sohnes. Als Mitglied der Freidenker-Vereinigung Schweiz (FVS) – einem Verein, der die Aufklärung als «nie endendes Projekt» versteht – und Gönner der GiordanoBruno-Stiftung, einer humanistischen Denkfabrik, setzt sich Koch für eine säkulare Schweiz ein. (lsc) Haben Sie sich in schwierigen Situationen nie gewünscht, an einen Beschützer zu glauben? Nein. Als kleines Kind war ich drei Mal im Spital, das war ein einschneidendes Erlebnis. Ich hatte furchtbares Heimweh, war oft allein. Da merkte ich, wie schön es ist, wenn die Nachtschwester hereinkommt und sich um einen kümmert. Das hat mir gezeigt, worin die wahre Kraft liegt: Wir brauchen Liebe und Geborgenheit von anderen Menschen, und es ist gar nicht nötig, das mit irgendwelchen Göttern, Kobolden oder sonstwas zu verschnörkeln. Die Besinnung auf sogenannt «christliche Werte» ist nur das letzte Aufbäumen vor dem Untergang – und ausserdem absoluter Blödsinn. Wir sollten muslimischen Immigranten klarmachen, dass ihre Religion zwar schön und gut ist, in der Öffentlichkeit aber nichts verloren hat. Wir sollten ihnen vermitteln, dass unsere Gesellschaft auf humanistischen Prinzipien, Wissenschaft und einem Rechtsstaat beruht. Stattdessen greift die Politik in die Mottenkiste und holt «christliche Werte» hervor. Das zeigt die Einführung des Schulfachs «Religion und Kultur», das nichts anderes als verkappter Religionsunterricht ist. Sie haben vergeblich versucht, die Gemeindebibliothek Hombrechtikon mit dem antireligiösen Kinderbuch «Wo bitte geht’s zu Gott, fragte das kleine Ferkel» zu beschenken, und damit einen Skandal ausgelöst. Haben Sie als Freidenker einen Missionsauftrag? Was ist daran auszusetzen, dass Kindern beigebracht wird, welche Religionen es gibt und woran sie glauben? Wir sind nicht missionarisch. Sonst wäre jeder, der eine wissenschaftliche und von jedermann überprüfbare Erkenntnis unter die Leute bringen will, ein Missionar. Das Buch zu verschenken, war meine eigene Idee, weil die Bibliothek voller Kinderbibeln ist, die nicht gerade zum Denken und Hinterfragen anregen. Das «Ferkelbuch» zeigt den Kindern, dass man niemandem glauben soll, der keine Beweise für seine Behauptungen liefern kann. Das kann man doch im Geschichtsunterricht tun – etwa, in dem man ins Naturhistorische Museum geht und den Kindern erklärt, wie die Leute früher getickt haben. Oder in den Vatikan, der auch bald ein Museum sein wird. Die Antwort auf die Immigration muss der Staat geben, nicht die Religion. Schliesslich hat in einem Staat das säkulare Prinzip «Wenn Du in meiner Schule nicht betest, werde ich in Deiner Kirche auch nicht denken». Impressum Seestrasse 86, 8712 Stäfa, Telefon: 044 928 55 55, Fax: 044 928 55 50, redaktion.staefa@zsz.ch Redaktionsleitung: Benjamin Geiger (Chefredaktor), Michael Kaspar (stv. Chefredaktor), Andreas Schürer (stv. Chefredaktor), Christian Dietz-Saluz (Leiter Regionalredaktion), Peter Hasler (Sportchef) Produktion/Druck Leitung: Samuel Bachmann, Telefon 044 928 54 15. sbachmann@zsz.ch. Druck: DZO Druck Oetwil a. S. AG Verlag Zürichsee Presse AG, Seestrasse 86, 8712 Stäfa, Verlagsleitung: Barbara Tudor. Abonnement: Telefon: 0848 805 521, Fax: 0848 805 520. abo@zsz.ch. Preis: Fr. 328.– pro Jahr; E-Paper Fr. 164.– pro Jahr. Inserate Publicitas AG, Seestrasse 79, 8712 Stäfa, Telefon: 044 928 55 11, Fax: 044 928 55 00. 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Ansonsten würde ich ihm sagen, dass er vor ein Gericht gehört, weil er Mitverantwortung trägt für all die Missbrauchsfälle, die von der Kirche ver-