Kt. ZH Schulfach Religion und Kultur: Mutwilliger Kurs auf den Eisberg

Als Beitrag zur Integration und zum friedlichen Zusammenleben wurde das Schulfach „Religion und Kultur” vor vier Jahren initiiert. Nun liegen die Lehrpläne vor. Die Bilanz ist ernüchternd: Das Fach ist eine Mogelpackung, welche einer richterlichen Prüfung kaum standhalten dürfte. Mit deutlichem Mehr hatte der Kantonsrat im November 2005 das Postulat von Andrea Widmer-Graf für ein neues Primarschulfach überwiesen. Ihr zentrales Anliegen: „Im Fach ‚Religion und Kultur’ sollen Fragen nach ethischem Handeln und nach Werthaltungen zur Sprache kommen. Ein obligatorisches Fach hat den grossen Vorteil, dass alle Kinder einbezogen werden. Auf diese Art kann das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Integration und zu einem friedlichen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft leisten. Es trägt zu einem besseren Verständnis von unterschiedlichen Kulturen und Religionen bei und fördert Solidarität, Rücksichtnahme und Toleranz.” Der Vorstoss war eine Reaktion auf die Volksinitiative zur Beibehaltung des Bibelunterrichts, welche der Bildungsrat zwei Jahre zuvor aus der Angebotspflicht gestrichen hatte. Die rund 50‘000 Unterschriften, welche in erster Linie evangelikale Kreise gesammelt hatten, verfehlten ihre Wirkung nicht: Die Initiative wurde zurückgezogen. Doch als Gegengeschäft erhielten die Urheber weitaus mehr als sie ursprünglich eingefordert hatten: „Religion und Kultur” soll ein obligatorisches Notenfach werden, auf der Unterstufe gar zulasten einer Lektion „Mensch und Umwelt”. Zudem wurde beschlossen, das Fach auch auf der Oberstufe einzuführen.

Weltliche Sichtweisen ausgeblendet Die Lehrpläne liegen inzwischen vor, es kann somit eine erste Bilanz gezogen werden. Und die fällt leider ernüchternd aus: Herausgekommen ist eine Mogelpackung, welche den vom Kantonsrat abgesegneten Zielsetzungen nicht gerecht wird. Trotz der Beteuerung, die „Erfahrungen der Kinder” zu berücksichtigen und sie „in ihrer Integrität zu fördern”, werden weltliche Wertvorstellungen bewusst ausgeblendet. Geboten wird lediglich eine Vorstellung fünf grosser Religionen. Bildungsrat Jürgen Oelkers, unter dessen Federführung die Lehrpläne entstanden, will für den Kanton Zürich gar eine Ausnahmeregelung, um sich nicht an die Vorgaben des überkantonalen Lehrplans 21 zum Thema „Ethik” halten zu müssen. Dieses Ansinnen widerspricht klar der bisherigen zustimmenden Position des Kantons Zürich zur Bildungsharmonisierung. Weltliche Sichtweisen aussen vor zu lassen ist ausserdem unhaltbar angesichts der Tatsache, dass heutzutage der Grossteil der Kinder in gänzlich oder weitgehend säkularisierten Umfeldern aufwächst.

Auch wenn kein Bekenntnis zu einer bestimmten Religion abverlangt wird, präsentiert sich der Inhalt in der vorgesehenen Form als blosse religiöse Angebotspalette, bei dem Kinder ohne klaren kirchlichen Hintergrund besonders in der Unterstufe unter Druck stehen werden, etwas Passendes herauszupicken. Ohne die deutliche Aussage, dass eine säkulare Weltanschauung ebenbürtig und das Fehlen von Religiosität nichts Defizitäres ist, verletzt ein obligatorischer Unterricht die Vorgabe der Verfassung, welche in Artikel 15 unmissverständlich festhält, dass niemand gezwungen werden darf, religiösem Unterricht zu folgen. Kultur ausschliesslich in religiösem Korsett Auch der angebliche zweite Teil des Fachs, „Kultur”, wird fast ausschliesslich in religiösem Korsett präsentiert. Dies stellt ein klares Zerrbild der schulischen Realität dar. Viel eher als kaum mehr zelebrierte religiöse Rituale gehören beispielsweise das Sechseläuten oder die Fasnacht – die nach einigem Hin und Her nun doch zur Sprache kommen soll – zur für Zürcher Schüler erlebbaren Kultur – unabhängig davon, ob die Eltern daran teilnehmen oder nicht. Umgekehrt wird im vom Bildungsrat im vergangenen November bewilligten Konzept für das Sekundarlehrmittel krampfhaft versucht, Religiöses überall im Alltag zu entdecken. Selbst die im Einkaufszentrum Sihlcity abseits der Ladenlokale untergebrachte Kirche und das Kreuz auf dem Rega-Helikopter müssen als Anschauungsmaterial für die angebliche Omnipräsenz des Religiösen im Alltag herhalten. Oelkers bedauert im Buch „Das verdrängte Erbe”, welches er im Jahr 2003 zusammen mit zwei Mitautoren veröffentlichte, dass die Pädagogik ihr religiöses Erbe abgestreift habe. Es macht den Anschein, als ob das neue Fach die verdrängte Vormoderne zurück in die Klassenzimmer bringen soll.

Bei Religionsvertretern findet die Strategie sichtlich Anklang. Die Bildungsdirektion setzt eine vorwiegend aus Delegierten der fünf berücksichtigten Religionen bestehende Begleitgruppe ein, deren Mitglieder die Lehrmittelentstehung mitprägen sollen. Die reale Mitwirkung beschränkt sich jedoch weitgehend auf ein Ausfeilschen der Anzahl Seiten, welche jeder der berücksichtigten Religionen zugestanden werden soll und innerhalb dieser, welche Strömungen in welchem Umfang berücksichtigt werden sollen.

Den Freidenkern kommt in der Runde bisher eine blosse Alibifunktion zuteil, ihre früh geäusserten rechtsstaatlichen Bedenken werden weder vom Bildungsratsvertreter noch von der Koordinatorin der Bildungsdirektion ernst genommen. Einer ausgewogenen Auswahl der Inhalte abträglich ist auch, dass die Hochschuldisziplinen Religionspädagogik und Religionswissenschaft in der Begleitgruppe vertreten sind, jedoch niemand aus der säkularen Forschung, beispielsweise der universitären „Arbeits- und Forschungsstelle für Ethik”. Ganz anders das Vorgehen des Graubündner Amtes für Volksschule und Sport: Es hat ebendiese Fachstelle der Universität Zürich damit beauftragt, den Lehrplan zu ihrem neuen Ethikfach auszuarbeiten. Klage gegen das Obligatorium absehbar Verschiedene Eltern aus dem Kanton Zürich zeigen sich angesichts der verfahrenen Ausgangslage bereit, gegen das vorgesehene Obligatorium zu klagen. Es ist zu bezweifeln, dass der Regierungsrat seinen eigenen Bildungsrat im Regen stehen lassen wird. Es ist also gut möglich, dass das Bundesgericht die Schranken, die der Verfassungsartikel 15 setzt, wird ausdeutschen müssen. Möglicherweise haben die Bündner bis dann längst ein zukunftstaugliches Fach im Angebot, das andere Kantone übernehmen können ...

Andreas Kyriacou

Schlagworte