Pressemitteilung: Berner Freidenkerin weigert sich, Pfarrgehälter mitzufinanzieren

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz und deren Sektion Bern unterstützen eine Berner Freidenkerin, die in Sachen Pfarrerbesoldung aus allgemeinen Staatssteuern nun an das Bundesgericht gelangt.

Die Beschwerdeführerin hat ihre Steuerveranlagung für die Kantonssteuer 2005 mit der Begründung angefochten, sie sei nicht länger bereit, über die Kantonssteuer indirekt Kultussteuern, insbesondere für die Entlöhnung der Geistlichen der Landeskirchen zu bezahlen. Sie verlangte deshalb, dass die Steuerforderung des Kantons "um den anteilsmässigen Betrag, der gemäss Staatsrechnung für Kultuszwecke und weitere innere kirchliche Angelegenheiten der Landeskirchen aufgewendet wird (was min­destens 1 Prozent ausmachen dürfte)", reduziert wird.

Das Berner Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass der geschuldete Betrag auf einer rechtlichen Grundlage basiere und die Steuerpflichtigen keinen Anspruch hätten hinsichtlich der Verwendung der bezahlten allgemeinen Steuern.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die gesetzliche Grundlage für diesen - als schwerwiegend eingestuften - Grundrechtseingriff nicht genügt und zudem das überwiegende öffentliche Interesse an der Pfarrerbesoldung nicht gegeben ist.

In der Schweiz werden nur noch im Kanton Bern die Pfarrerlöhne vollumfänglich durch den Kanton bezahlt

Zwar schuldet die Beschwerdeführerin dank ihrem Austritt aus der Kirche keine Kirchensteuer, doch stört sie sich an der Tatsache, dass die Löhne der Geistlichen der drei Landeskirchen und eines Domherrn sowie ein Beitrag an die Kosten des Bistums Basel aus den kantonalen Steuern bezahlt werden, die einheitlich von allen steuerpflichtigen Personen erhoben werden, unabhängig davon, ob sie einer Landeskirche angehören. Diese Praxis war historisch in grossen pro­testantischen Kantonen verbreitet.

Der Kanton Zürich bezahlte bis Ende 2009 noch zwei Drittel der Pfarrerlöhne, seit 2010 werden die Löhne durch die Kirchgemeinden bezahlt.

Der Kanton Schaffhausen (Art. 1 G über die Ausrichtung von Beiträgen an die Landeskirchen, 130.100) zahlt eine jährliche Subvention von 2,4 Mio. Franken.

Der Kanton Baselland bezahlt neben einem Fixbetrag von 100'000.- einen jährlichen Beitrag von 35 Franken pro Kirchenmitglied – aber zu bezahlen von allen Steuerpflichtigen (Art. 8c Kirchengesetz, SGS 191).

Im Kanton Waadt (art. 13 ss. LREEDP, 180.05, s. auch http://www.bicweb.vd.ch/communique.aspx?pObjectID=259818) besteht eine Vereinbarung zwischen dem Kanton und den Landeskirchen, wonach eine Subvention ausgerichtet wird. Nicht-Kirchenmitglieder können (alljährlich) ihren Anteil an den Kultuskosten bei der Gemeinde zurückfordern. In den Kantonen Genf und Neuenburg sind Staat und Kirche getrennt.

In Basel werden nur gewisse Dienstleistungen von Geistlichen in Spitälern, Heimen und Gefängnissen abgegolten und ein Beitrag an den Erhalt des Münsters geleistet (§ 8 f. Kirchengesetz, 190.100).

Im Kanton Wallis (http://www.vs.ch/public/public_lois/de/LoisHtml/frame. asp?link=180.1.htm) können Nicht-Kirchenmitglieder ihren Anteil an den Kultuskosten bei der Gemeinde zurückfordern.

Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit gilt auch für Konfessionsfreie

Die Beschwerde stützt sich auf Art. 15 der Bundesverfassung (BV), Art. 9 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonven­tion (EMRK) und Art. 14 der bernischen Kantonsverfassung (KV). Gemäss Art. 15 BV ist "die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet." Dieses Grundrecht gilt als eines der ältesten und garantiert jeder Person das Recht, die Religion und die Weltanschauung frei zu wählen. Als Abwehrrecht garantiert die sogenannte „negative Glaubens­freiheit“ das Recht, von Kirchensteuern, namentlich für eigentliche Kultuszwecke, be­freit zu werden (s. z.B. Kiener/Kälin, Grundrechte, S. 264 ff., und Müller/Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. A. S. 251 ff.).

Beschränkung des Grundrechtes

Zur Be­schränkung dieses Grundrechts bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Weiter muss die Beschränkung einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen und verhältnismässig sein.

1. Rechtliche Grundlage Im ersten Kommentar zur neuen Bundesverfassung, dem St. Galler-Kommentar, hielt der Kommentator Urs Josef Cavelti fest: "Die BV hat die bisherige (nicht unbestrit­tene) rechtliche Absicherung dieser Leistungen (Art. 49 Abs. 6 aBV) nicht fortge­schrieben (…). Die nun fehlende Sonderregelung zum Kultussteuerverbot zugunsten der kantonalen Kultusbudgets schafft eine neue rechtliche Situation, die auch eine Neubeurteilung erfordert" (Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Hrsg: Ehrenzeller et. al., 1. A., 2002, Art. 15 N 27).

Häfelin spricht im BV-Kommentar (aBV, Art. 49 N 70) von der Steuerbe­freiung als einer selbstverständlichen Konsequenz der Religionsfreiheit – insofern ist effektiv diese Aussage im neuen Art. 15 Abs. 1 BV enthalten –, die jedoch hier auf "spezielle" Kultussteuern beschränkt werde. Obschon sprachlich als Grundrecht getarnt, enthielt Abs. 6 die Schranke des Grundrechts. Abs. 6 war somit in der alten Verfassung die notwendige gesetzliche Grundlage zur Einschränkung des Grundrechts (Art. 36 BV).

Diese ausdrückliche gesetzliche Grundlage gibt es nicht mehr. Es gilt somit nur noch der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der fraglos – auch nach Art. 9 EMRK – das Verbot enthält, Steuern für Kultuszwecke bei Nicht-Mitgliedern von Religionsgemeinschaften oder Landeskirchen zu erheben.

Das Verwaltungsgericht führt in seinem Urteil aus, für die Finanzierung der Pfarrerlöhne bestehe eine gesetzliche Grundlage. Diese finde sich in Art. 123 Abs. 3 der Kantonsverfassung, wonach die Landeskirchen ihren Aufwand, und das wird weggelassen, "durch die Beiträge ihrer Kirchgemeinden" und "durch die vom Gesetz bezeichneten Leistungen des Kantons" bestreiten. Dies genügt sicher nicht als Grundlage für die Finanzierung von Kultuszwecken aus Steuergeldern.

Schon präziser sind die Art. 19 f. und 54 des Kirchengesetzes (KiG, BSG 410.11): Art. 19 Abs. 1 KiG delegiert dem Grossen Rat die Kompetenz, die Zahl der vom Kanton besoldeten Pfarrstellen pro Landeskirche festzulegen, und Art. 54 KiG legt fest, dass die Geistlichen an den vom Kanton errichteten Pfarrstellen vom Kanton besoldet werden. Eigentlich vom Kanton errichtet werden jedoch keine Pfarrstellen und die Blankettdelegation an den Grossen Rat widerspricht auch sämtlichen Delegationsgrundsätzen. Insofern kann von einer klaren, eindeutigen gesetzlichen Grundlage für die Finanzierung von 365 Pfarrstellen der evangelisch-reformierten Kirche und von insgesamt 80 Stellen der römisch-katholischen und christkatholischen Landeskirche (BSG 412.11) keine Rede sein. Implizit mag das Kirchengesetz vom 6. Mai 1945 von einer Besoldung der Pfarrer durch den Kanton ausgehen, "in den wesentlichen Punkten klar und unzweideutig formuliert" (s. Kiener/Kälin, Grundrechte, S. 88) ist es aber als gesetzliche Grundlage für einen schweren Grundrechtseingriff nicht. Von einem solchen ist auszugehen, wenn die Beschwerdeführerin als Nicht-Mitglied der Landeskirchen eigentliche Kultuszwecke mitfinanzieren muss.

2. Öffentliches Interesse

Das öffentliche Interesse an der Einschränkung von Grundrechten muss gewichtig und dringend sein. In keinem Fall genügen rein fiskalische Interessen.

Dass der Kanton soziale Aufgaben der Kirchen fi­nanzieren kann, ist nicht bestritten. Die Löhne der Pfarrer gehören jedoch nicht zu den sozialen Aufgaben, umso mehr als die Kirchen je länger je mehr dazu übergan­gen sind, ihre Dienstleistungen, insbesondere Trauungen und Abdankungsfeierlichkeiten, den Nicht-Mitgliedern in Rechnung zu stellen. („Richtlinien für die Gebühren bei kirchlichen Trauungen und Bestattungen von Personen, die den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn nicht angehören oder nicht angehört haben.“ Synodalrat, 19. Januar 2005)

Bsp. 1 Ref. Kirchgemeinde Köniz Verordnung über die Gebühren bei kirchlichen Trauungen und Bestattungen

Art. 101Wird die Trauerfeier für eine Person, die zum Zeitpunkt ihres Todes der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn nicht angehört hat, von einer Pfarrperson der Kirchgemeinde Köniz durchgeführt, beträgt die Gebühr CHF 1‘240.-.

Bsp. 2 Gesamtkirchgemeinde Bern Empfehlung für die Kirchgemeinden der Ev.-ref. Gesamtkirchgemeinde Bern

3. Die Gebühr beträgt, wie in den erwähnten synodalrätlichen Richtlinien vorgeschlagen, für eine Trauung und eine Abdankung je Franken 1240.00. Damit sind die Dienste von Pfarrer/in, Organist/in, Sigrist/in sowie die Benützung des Kirchengebäudes und die Sekretariatskosten abgegolten.

4. Wird die Trauung oder die Abdankung nicht von einer Pfarrer/in der Ev.-ref. Gesamtkirchgemeinde Bern gehalten (Amtsinhaber/in, Amtsvertreter/in), dann reduziert sich die Gebühr auf Franken 710.00.

Der folgende Absatz gehört sicher nicht mehr eingerückt ?

Angesichts der deutlich Veränderungen im 20. Jahrhundert in der Gesellschaft, dem massiv zurückgegangenen Stellenwert der Kirche in der Gesellschaft und der Tatsache, dass heute rund 25% der Bevölkerung in der Schweiz keiner der drei Landeskirchen angehören (s. Bundesamt für Statistik, Schweizer Religionslandschaft im Umbruch Neuenburg 2004), drängt sich eine neue Sichtweise auf.

Nichts spricht gegen eine fallweise Abgeltung von sozialen Leistungen der Kirchen, soweit sie im Interesse aller und gemäss einem konkreten Leistungsauftrag erbracht werden. Eine generelle Bezahlung der Pfarrerlöhne durch den Kanton jedoch entspricht nicht mehr einem heutigen öffentlichen Interesse. Sämtliche anderen Kantone beschränken sich auf gewisse Leistungen gegenüber der Kirche, zum Beispiel im Bereich der Erhaltung der Kulturgüter oder der Abgeltung spezieller sozialer Dienstleistungen der Kirchen. Ausnahmsweise finanzieren sie die Pfarrerlöhne mit, ohne jedoch die Hauptlast zu übernehmen. Anders im Kanton Bern: Mit der Berufung auf wohlerworbene Rechte und historische Rechtstitel werden mit den kantonalen Steuereinnahmen über 450 Geistliche besoldet.

Ein öffentliches Interesse, Pfarrerlöhne mit Steu­ern von Nicht-Mitgliedern der Landeskirchen zu finanzieren, ist damit nicht er­sichtlich.

Historische Rechtstitel?

Wenig taugen auch sog. "historische Rechtstitel" oder "wohlerworbene Rechte" zur Rechtfertigung der Lohnzahlungen der Pfarrer durch den Kanton. In Beantwortung einer Motion Messerli, Nidau (vom 3.9.07) hielt der Regierungsrat am 27.2.08 fest, die Besoldung der evangelisch-reformierten Geistlichen gründe auf einem "vertragsähnlichen" Dekret vom 7. Mai 1804. Der Staat Bern habe als Rechtsnachfolger der Pfrundstiftungen und als neuer Eigentümer des Kirchenguts die Pflicht übernommen, die Pfarrer zu besolden.

Es ist davon auszugehen, dass der letzte dieser Pfründer (s. Art. 521 OR) verstorben ist. Die diesbezüglichen staatlichen Verpflichtungen dürften weggefallen sein. Somit bleibt das Kirchengut, das im Kanton Bern wohl im Wesentlichen aus Pfarrhäusern besteht, deren Unterhalt den Ertrag deutlich übersteigt. Es ist davon auszugehen, dass eine Rückgabe des Kirchenguts, wie dies das im Regierungsratsentscheid zitierte Gutachten verlangt, von den Kirchen als Danaergeschenk empfunden würde.

Schwerwiegender Eingriff in ein verfassungsmässiges Grundrecht

Das Verwaltungsgericht führt aus, dass staatliches Handeln in vielerlei Hinsicht der Weltanschauung oder der religiösen Überzeugung gewisser Steuerzahlender widersprechen kann.

Dem ist zuzustimmen. Es kann grundsätzlich nicht möglich sein, das staatliche Budget nach weltanschaulichen Kriterien zu durchforsten und auszurechnen, welchen Anteil man nicht zahlen will.

Soweit jedoch ein Grundrecht und allenfalls sogar dessen Kernbereich betroffen ist, stellt sich die Frage anders. Wenn, wie vorliegend, eine Grundrechtsfrage nur auf diesem Weg geltend gemacht werden kann, muss es möglich sein, einzelne Aspekte der Mittelverwendung in Frage zu stellen. Ausserhalb der abstrakten Normenkontrolle muss ein Einzelakt verlangt werden können, der erlaubt, einer neuen, in der breiten Bevölkerung getragenen Auffassung Rechnung zu tragen.

Medienreaktionen:

Bund 6. Mai 2010: Atheistin will die Pfarrerlöhne nicht mehr mitfinanzieren

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