Immer mehr Religionslose: die Politik muss nun handeln
32.3 Prozent der Schweizer Bevölkerung bezeichnen sich gemäss neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) als «ohne Religionszugehörigkeit». Weitere 36.6 Prozent gehören zwar formal einer Religion an, sehen sich selbst aber weder als religiös noch als spirituell. Angesichts dieses rasanten Bedeutungsverlusts der Religionen fordert die Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) eine konsequent säkulare Politik auf allen Ebenen.
Die Religionslosen sind auf der Überholspur: Keine Weltanschauungsgruppe wächst so stark wie die Personen ohne Religionszugehrigkeit. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Bevölkerung ohne Religion generell eher jung ist, wird diese Bevölkerungsgruppe immer relevanter. Sie verfügt zudem über einen höheren Bildungsstand und lebt eher im städtischen Raum. 2032 werden in der Schweiz mehr Personen ohne Religionszugehörigkeit leben als Reformierte und Katholiken zusammen (siehe Anhang). Doch dieser säkulare Teil der Bevölkerung ist heute in der Politik kaum vertreten.
Weltliche Politik
Politikerinnen und Politiker, die sich öffentlich zur Religionsfreiheit bekennen, sind sehr rar. Dabei gibt es grossen Handlungsbedarf und viel Potenzial. Die Kirchen erbringen im Auftrag des Staates Leistungen, die er selbst übernehmen sollte. Diese sozialen und kulturellen Angebote dienen den Kantonen als Begründung für jährliche Pauschalzahlungen an christliche Kirchen und andere Religionsgemeinschaften.
Problematische Monopolstellungen
Diese Pauschalzahlungen privilegieren die Kirchen gegenüber den anderen Trägern sozialer oder kultureller Einrichtungen. Diese müssen zeitlich befristete Verträge mit einem klar umrissenen Leistungsangebot eingehen oder sich gar projektweise um öffentliche Förderung bemühen, mit unsicherem Ausgang. Die Pauschalen garantieren den Kirchen als Leistungserbringer in einigen Bereichen zudem eine faktische Monopolstellung. Bei der Seelsorge beispielsweise ist dies nicht nur ordnungspolitisch stossend, sondern auch inhaltlich problematisch. Selbst die Hälfte der Kirchenmitglieder sieht Religion oder Spiritualität nicht als wichtige Ressource bei der Bewältigung von Krankheiten. Bei den religionslosen Personen trifft dies – wenig überraschend – auf die grosse Mehrheit zu. Es braucht deshalb weltliche Alternativen zur staatlich finanzierten konfessionellen Seelsorge. Nicht nur, um areligiöse Menschen nicht zu diskriminieren, sondern ebenso, weil das heutige Angebot auch für einen substantiellen Teil der Kirchenmitglieder unpassend ist.
Rückbau von Kirchenprivilegien
Nicht zeitgemäss sind auch die in weltlichen Gesetzen festgelegten Verbote beispielsweise von Kulturanlässen, Sportturnieren oder Marktständen an Feiertagen des christlichen Kalenders, die sich nur schwer mit der negativen Religionsfreiheit in Einklang bringen lassen. «Die Regelungen sind zwar unabhängig vom Grad der Säkularisierung der Gesellschaft zweifelhaft, da sie das Religiöse gegenüber anderen Formen gesellschaftlicher Partizipation überhöhen.» gibt Andreas Kyriacou, Präsident der FVS zu bedenken. In Anbetracht der neuesten Zahlen des BfS wird die Absurdität der Regelungen erst recht überdeutlich. «Es käme wohl niemand auf die Idee, für Abstimmungssonntage oder Parteiversammlungen solche Regeln aufzustellen, um zu verhindern, dass anderen Beschäftigungen nachgeht, wer sich nicht am Politgeschehen beteiligen will», so Kyriacou weiter.
Anhand der Daten aus der Strukturerhebung 2021 (SE) und der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2019 (ESRK) lässt sich der Teil der Bevölkerung ohne Religionszugehörigkeit charakterisieren und in Bezug auf die genannten Fragen mit der Bevölkerung mit Religionszugehörigkeit vergleichen.
In der ESRK werden die spontane und die offizielle Zugehörigkeit unterschieden. Die spontane Zugehörigkeit bezieht sich auf das Zugehörigkeitsgefühl statt auf die offizielle Religion. Um diese Information zu erhalten, wird die folgende Frage gestellt: «Würden Sie sagen, dass Sie eine Religion haben und wenn ja, welche?» Bei den Personen, die eine Religion angeben, lautet die Fragestellung: «Gehören Sie dieser Religion offiziell an?» Bei den Personen, die keine Religion angeben, lautet sie wie folgt: «Gehören Sie offiziell trotzdem einer Religion an?». Die Strukturerhebung nuanciert nicht zwischen offiziell und spontan. Um die Religionszugehörigkeit zu bestimmen, wird die folgende Frage gestellt: «Welcher Kirche oder Religionsgemeinschaft gehören Sie an?»