Filmkritik: «Unser Vater»
Ein katholischer Priester und Vikar zeugt in den 1950er und 1960er Jahren mit verschiedenen Frauen mehrere Kinder, die erst Jahrzehnte später voneinander erfahren und sich kennenlernen – Miklós Gimes portraitiert diese Kinder und drei der Mütter im eindrücklichen Dokumentarfilm «Unser Vater» und zeigt die Schatten, die Priester und Kirche mit ihrem Verhalten über diese Leben gelegt haben.
Von Eliane Schmid
Es ist eine Geschichte, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten zuhauf und aus zahlreichen Ländern – USA, Irland, Deutschland, um nur einige zu nennen – den Medien entnehmen konnten: Statt zölibatär zu leben, vergreifen sich katholische Priester an Schutzbefohlenen ihrer Kirche, zeugen Kinder, geben den Schwangeren Geld für eine Abtreibung und lassen sie und die Kinder allein. All das gedeckt durch ihre Vorgesetzten und die Kirche bis hinauf zum Bischofsitz.
Tochter Monika setzt sich an der Beerdigung ihres Vaters «Toni», dem ehemaligen Priester Anton Ebnöther, demonstrativ in die erste, der Familie vorbehaltene Reihe der Kirche und lässt sich dort nicht wegbefehlen. Nach der Beerdigung, die von «Lügen bis zum Schluss» geprägt war, findet sie nach und nach heraus, dass sie mehrere Halbgeschwister hat, setzt sich mit ihnen in Verbindung und bringt sechs von ihnen zusammen. Die Kinder, heute alle selber in der Lebensmitte angekommen, und drei ihrer Mütter geben mit erstaunlicher Offenheit vor der Kamera Einblick in ihre Leben und die Erschütterung und den Schmerz, die sie durch ihre Geschichte mit dem Priester erlitten haben. «Alleine im Herz», voller Scham und bittere Erfahrung die alleine gelassenen Mütter, um Anerkennung und Menschenvertrauen ringend die Kinder.
Zwei der Töchter haben Toni zu Lebzeiten konfrontiert und verlangt, dass er seine Vaterschaft eingestehe, was er widerstrebend auch tat. Lisbeth schildert dann aber, wie er sie als Erwachsene bei einem ihrer Besuche bedrängte und versuchte, sie zu küssen – wohl im Glauben, meint sie, sie könne sich so wenig wehren wie ihre Mutter ein paar Jahrzehnte zuvor. Der ehemalige Priester führte zu diesem Zeitpunkt eine Pension in Graubünden und zeigte einmalmehr seinen abscheulichen Charakter.
Trotz dieser Abgründe bleibt explizite Kirchenkritik im Film selten. So antwortet eine der Mütter auf die Frage, ob sie denn nie wütend gewesen sei auf die Kirche, nein, aber über den Pfarrer schon. Auch die portraitierten Kinder distanzieren sich nicht explizit von der Kirche. Die Mutter von Monika aber hält die kirchliche Doppelmoral fest, die sich in ihrem eigenen Leben manifestiert hat: Selber wurde sie ihrer Mutter, die nicht mehr in die Kirche ging, «aus religiösen Gründen» weggenommen, nur um später von einem Angehörigen derselben Kirche, dem sie vertraute und den sie mochte, diesen Übergriff zu erleben und mit 100 Franken im Couvert und der Aufforderung, «mach’, was du kannst», im Stich gelassen zu werden. Sie brachte als einzige den Priester Ebnöther vor Gericht.
Der Dokumentarfilm ist an sich aber ein eindrückliches Stück Kirchenkritik, trotz für Kirchenferne vielleicht etwas zu präsenten Klängen von Kirchenglocken und Orgelmusik. Regisseur Miklós Gimes lässt die Mütter und ihre Kinder ausführlich zu Wort kommen und gibt ihnen Zeit, das jahrzehntelange Schweigen zu beenden und ihr Erleben und ihre Gefühle zu schildern. Dem stellt er die Geschwätzigkeit von Bischof Bonnemain gegenüber, der im Film die Kinder trifft und sich im Namen der Kirche entschuldigt, aber auch auf die damaligen gesellschaftlichen Umstände verweist und meint, Gottes Wege seien immer gut. Wie singt doch der fehlbare Ex-Priester auf einer Tonaufnahme gleich zu Beginn des Films? «Es kommt von Herzen, möge es auch zu Herzen gehen».
Zu Herzen geht dieser Film mit seinen ehrlichen, verletzlichen Protagonistinnen und Protagonisten, der eine vergangen geglaubte verstaubte Gesellschafts- und Sexualmoral wieder aufleben lässt, die in kirchlichen Kreisen nach wie vor aktuell ist.
Im Kino seit 6. April 2023: www.unservater.ch
Eliane Schmid, Mitglied der Redaktionskommission unseres Magazins frei denken und ehemalige Co-Präsidentin der Sektion FRB hat sich den Film für uns angeschaut. Diskutiere mit uns auf Slack, auf Social Media oder per Mail an gs@frei-denken.ch
Hinweis: Podium zum Film
Am Dienstag, 11.4.2023 um 18 Uhr in Annwesenheit von Dr. Sonja Matter (Historikerin, Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) Uni Bern), Nicolas Betticher (Theologe), Miklos Gimes (Regisseur), Lisbeth Binder (Protagonistin). Details: unservater.ch/podium-bern/
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