Rezension von Markus Neunschwanders "Die Gretchenfrage"
Der Biologe und Raumplaner Markus Neuenschwander hat ein Buch zu den grossen Fragen geschrieben: Was wissen wir? Woher kommen wir? Wohin wollen wir?
Giovanni Ruggia von der Tessiner Sektion hat es gelesen.
Wenn euch „Gretchenfrage“ an Greta Thunberg denken lässt, dann liegt ihr nicht ganz daneben. Doch selbstverständlich bezieht sich der Buchtitel auf die berühmte Frage, die Gretchen in Goethes gleichnamiger Tragödie an Faust stellt. Eine Frage, die zu jenen im Untertitel des Buches hinführt: „Was wissen wir? Woher kommen wir? Wohin wollen wir?“
Auf den ersten Blick ist das Buch ein harter Brocken, mehr als 600 Seiten, 5 cm dick, 1100 g Gewicht, was viele am Anfang abschrecken mag, aber es ist angenehm zu lesen, in flüssiger Sprache geschrieben, die Konzepte sind klar und präzise präsentiert, ohne sich in zu viele Details zu verlieren; wirklich interessant, ich habe es in einem Atemzug gelesen.
Der Autor, Biologe und Raumplaner, geht die Fragen auf unkonventionelle Weise an.
Der erste Teil des Buches – „Was wissen wir?“ – ist keine traditionelle Darstellung wissenschaftlicher Fakten, sondern geht zunächst darauf ein, was Glauben von Wissen unterscheidet und in welchen Fällen wir dem einen oder anderen den Vorrang geben müssen. Wenn wir unser konkretes Handeln in der Welt auf etabliertes Wissen stützen wollen, müssen wir zunächst klären, wie das Organ, auf dem Wissen basiert, das Gehirn, funktioniert; das führt dazu, dass der Autor Themen wie Materie und Geist sowie Seele, Geist und Bewusstsein, aus einer evolutionären Perspektive diskutiert. Dieser erste Teil endet mit einer originellen und interessanten Darstellung der Grenzen unseres Gehirns, das leicht Illusionen erliegt: Der Autor zeigt auf, wie Magier es schaffen, die Mechanismen der Wahrnehmung und der Erinnerung zu manipulieren.
Im zweiten Teil – „Woher kommen wir?“ – dringt der Autor ins Herz des gesicherten Wissens über unsere Evolution ein: die Entstehung des Lebens, die Evolution der Arten, die genetischen Grundlagen der Evolution. Dann geht er auf die Details unserer direkten Vorfahren (Australopithecus, Homo erectus, Neandertaler) ein, sowie auf Themen wie Sprache, Sesshaftigkeit, Epidemien, Rassismus, Nationalismus; mit diesen Voraussetzungen analysiert er unsere Art, zu Kenntnissen zu kommen, zu argumentieren, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden und setzt uns das Ziel eines intersubjektiven und falsifizierbaren Wissens.
Der dritte Teil – „Wohin wollen wir?“ – schlägt Ziele für ein durchdachtes Handeln vor: Umgang mit Fake News und Gewalt, mit Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, mit Klimaproblemen, Biodiversität, Grenzen des Wachstums.
Schließlich wendet der Autor zusammen mit der Kakaospezialistin Jennifer Hagemann im letzten Kapitel das Gesagte am exemplarischen Fall der Herstellung von Schokolade an.
Zusammenfassend wird das Buch ein nützlicher Begleiter für Menschen sein, die beabsichtigen, sich ihrem Leben und den Problemen der Gesellschaft ohne Illusionen zu stellen, aber mit dem Bewusstsein, dass das Wissen um den biologischen Ursprung unseres Verhaltens es wahrscheinlicher macht, unsere Zukunft besser zu bewältigen.
Giovanni Ruggia