Afrikanische Atheisten: Gottlos in Ghana

Artikel auf nzz.ch vom 04.03.2017:

Der religiöse Extremismus äussert sich in Afrika nicht nur islamisch, sondern auch christlich. Freikirchen sind in Ghana allgegenwärtig und oft fanatisch. Eine Gruppe Ungläubiger gibt Gegensteuer.

Vor fünf Jahren hat das Meinungsforschungsinstitut WIN-Gallup einen Glaubensindex veröffentlicht. Er wurde angeführt vom westafrikanischen Land Ghana. Auf die Frage «Sind Sie religiös?» antworteten dort 96 Prozent mit Ja. (Zum Vergleich: Saudiarabien 75 Prozent, Schweiz 50 Prozent, China 14 Prozent.) Ghana ist mehrheitlich christlich, der Norden des Landes ist muslimisch geprägt. Vor allem haben sich in den letzten Jahren jedoch, wie in vielen subsaharischen Ländern, die evangelikalen Freikirchen explosionsartig ausgebreitet. Ihre Priester locken oft mit Wundern, angeblichen Heilungen und masslosen Versprechungen von Reichtum neue Schäfchen an, die dann regelmässig skrupellos ausgenommen werden. Ihre riesigen Kirchen, die Plakate und die hysterischen Anwerber sind allgegenwärtig im Land.

Aus der Familie ausgeschlossen

Einigen aufgeklärteren Ghanesen geht dieser Glaubensterror langsam auf die Nerven. So bildete sich ebenfalls vor fünf Jahren, als die obige Umfrage veröffentlicht wurde, in der Hauptstadt Accra eine Gruppe von Atheisten. Anfangs tauschte man sich nur über soziale Netzwerke aus, dann begann man sich regelmässig zu treffen, inzwischen hat die Gruppe der Gottlosen einen offiziellen Verein namens Humanist Association of Ghana (HAG) gegründet, der etwa 40 offizielle Mitglieder zählt. Viele von ihnen verfügen über eine höhere Bildung, manche haben einen christlichen, manche einen muslimischen Hintergrund.

Präsidentin des Klubs ist die 32-jährige Roslyn Mould. Sie hat moderne Sprachen studiert und arbeitet im Gas- und Ölsektor. Es geht ihr vor allem darum, Gleichgesinnten zu signalisieren, dass sie nicht allein sind. Denn angesichts der öffentlichen Übermacht von religiösen Stimmungsmachern in Ghana müsse sich ein Zweifler wie ein einsamer Irrer vorkommen, sagt Mould. Sie ist überzeugt, dass es viele Agnostiker und Atheisten gebe, die jedoch Angst vor einem «Comingout» hätten.

An diesem Sonntagabend, wo man sich zu einer kleinen Geburtstagsparty für Moulds Ehemann trifft, wissen einige Vereinsmitglieder von harten Reaktionen zu berichten. Bei einigen weigerten sich die Eltern auf einmal, ihr Schul- oder Studiengeld zu bezahlen, oder schlossen sie überhaupt aus der Familie aus. Viele verloren Freunde, als sie Kritik gegen die Kirche äusserten. Ein junger Mann berichtet, dass ihn die Familie regelmässig zu Verwandtentreffen vorlade, wo er dann einem Trommelfeuer von Bekehrungsversuchen ausgesetzt werde.

Der 28-jährige Agomo hat sogar schon Todesdrohungen erhalten, in Form von Zetteln, die ihm an der Universität in die Tasche gesteckt wurden. «Ich ging schon als Knabe lieber ans Meer als in die Kirche, die mich langweilte», erinnert er sich. Seine Mutter war fromm, aber der Vater ermunterte ihn zu lesen, auch Kritisches. «Mit 13 realisierte ich, dass es Gott wahrscheinlich nicht gibt. Mit 17 begann ich, offen zu meinem Unglauben zu stehen. Das machte mich einsam. Die HAG kennenzulernen, war für mich eine der besten Erfahrungen meines Lebens.»

Das Leben in Afrika ist im Allgemeinen gemeinschaftlicher orientiert als in Europa. Auch Kirchen sind nicht nur eine religiöse, sondern auch eine soziale Angelegenheit. Wer nicht zum Gottesdienst erscheint, gilt als Eigenbrötler und Aussenseiter. Umso wichtiger ist es, dass auch Unreligiöse sich irgendwo treffen können und nicht lediglich die Kirche besuchen müssen, um sich aufgehoben zu fühlen. Mould enerviert sich über das, was sie die allgegenwärtige religiöse Indoktrinierung in Ghana nennt, die für sie sowohl eine Ursache wie eine Folge des Bildungsmangels ist. «Man sieht sehr schön, wie in vielen Ländern mit einem Anstieg des Wohlstands, der sozialen Sicherheit und der Schulbildung die Religion an Bedeutung verliert.» Das ist in der Tat auch ein Befund der erwähnten Studie zu Gläubigkeit und Atheismus rund um die Welt.

«Wenn zum Beispiel jemand verunfallt», sagt Mould, «dann heisst es, das sei eine Strafe Gottes gewesen oder der Teufel, Dämonen oder eine Hexe steckten dahinter. Niemand erwähnt den Alkoholpegel des Fahrers oder den schlechten Zustand der Strasse. Das kommt dem Einzelnen und auch der Regierung entgegen, die so von der eigenen Verantwortung ablenken können. Abgesehen davon, dass die Armen auf Wunder oder ein Jenseits vertröstet werden und so nicht aufmucken.» Sie glaubt, dass die Pastoren die Leute ganz bewusst dumm halten, um sie besser ausnehmen zu können. «Anstatt den Armen mit konkreten Projekten zu helfen, klauen ihnen die selbsternannten Propheten noch das Letzte, was sie haben.»

Verbreitet sind auch ein Puritanismus und eine Pedanterie im Land, die in seltsamem Kontrast stehen zur in Westafrika sonst so verbreiteten Lebensfreude. Die meisten Schulen sind nach Geschlechtern getrennt, Sex wird vielerorts als ein notwendiges Übel betrachtet, die Angst vor Passivrauchen nimmt oft hysterische Züge an, und viele reagieren aggressiv, wenn Alkohol getrunken wird. Eine Frau erzählt, bei den regelmässigen Apéros in einer deutschen Organisation bete eine Angestellte jeweils darum, dass Gott den Alkohol aus den Getränken entfernen möge, worauf dann viele Ghanesen «Amen!» riefen.

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