Buchkritik: Religion als Zeitbombe?

Buchbesprechnung auf "Spektrum.de" vom 6.12.2016:

"Fördern Religionen die Gewalt?"  - Dieser Frage gehen der Wissenschaftstheoretiker und Biologe  Manfred Wuketits und der Religionswissenschaftler Anton Grabner-Haider in ihrer "Religion als Zeitbombe" titelnden Essay nach.

Im ersten Teil des Buches beschäftigt M. F. Wuketits mit der Frage welche biologischen Wurzeln Religionen haben, und: Wie sind sie -möglicherweise- evolutionär entstanden?

Elemente der Religiosität, spekuliert Wuketits, könnten bereits entstanden sein, als selbstreflexives Bewusstsein noch gar nicht existierte. Er verweist auf unsere frühen Primatenvorfahren, die in Baumkronen lebten. Dorthin konnten ihnen Raubtiere, die in der schattigen Bodenzone jagten, schlecht folgen. Wurden sie von Beutegreifern attackiert, führte der sicherste Fluchtweg nach oben, wo es hell war und die Artgenossen (im Gegenlicht betrachtet) Strahlenkränze trugen. Licht und helle Auren wiesen also den Weg fort von der Gefahr. Diese Präferenz könnte noch heute in uns angelegt sein: Kulturübergreifend sind "hell" und "oben" überwiegend positiv besetzt, "dunkel" und "unten" eher negativ.

Im zweiten Teil geht A.-G. Haider anhand einer Kulturgeschichte der Religionen der Frage nach, welche Bedeutungen diese innerhalb unterschiedlicher Gemeinschaften hatten:

Religionsphilosoph Anton Grabner-Haider macht das konkret, indem er in der zweiten Buchhälfte eine kurze Kulturgeschichte der Religionen vorlegt. Auf rund 80 Seiten unternimmt er eine Tour de Force von Schamanismus über chinesischen Daoismus, indischen Buddhismus und japanische Religionen, keltische und germanische Mythen bis zu den klassischen Buchreligionen. Er untersucht, welche gesellschaftlichen Funktionen sie jeweils erfüll(t)en – und inwiefern sie als soziale Zeitbomben wirk(t)en.

Das Fazit der beiden Verfasser ist durchwachsen:

Religionen brächten ihren Vertretern zweifellos und nachweislich starke Überlebensvorteile; ihre Lehren und Bilder seien große Leistungen der kulturellen Sozialisation. Sie hätten aber auch ein enorm destruktives Potenzial. Es sei dringend nötig, ihren Wahrheitsanspruch zu relativieren, Religion und Staat zu trennen und insbesondere Heranwachsenden klarzumachen, dass keine Ideologie und keine Religion Menschenopfer fordern darf. "200 Jahre nach der Aufklärung dürfte das nicht zu viel verlangt sein."
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