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(file: @@FD-4-2012.pdf@@)Freidenker-Vereinigung der Schweiz Was bedeutet Religionsfreiheit? Wie viel Parallelkultur verträgt eine Gesellschaft? Gibt es ein Gewohnheitsrecht für überkommene kulturelle Bräuche? Alfred Bodenheimers Essay «Haut ab!» Seite 14 4 I 2012 Seite 8 Keine Sonderrechte für Fundamentalisten! Kantonale Wahlen: Laizität wählen Streitpunkt Kindeswohl Selbstbestimmung vor Staatseingriff Welcher Gesellschaftsvertrag für die Schweiz? Menschenwürde neu denken? Seite 3 Seite 4 Seite 6 Seite 10 Seite 13 Seite 14 2 I Inhalt FVS-Spendenprojekte .......................................... 2 In letzter Minute FVS-Pressemitteilung .......................................... 3 Reta Caspar Editorial .............................................................. 3 Kurs Rituale 2012 ................................................ 3 Schweiz Staat und Kirche ................................................. 4 Kantone Staat und Kirche .................................................. 5 Kantonale Wahlen AG, BS .................................. 5 Die FVS in den Medien ....................................... 5 Michael Burkard Streitpunkt Kindeswohl ..................................... 6 Giordano Bruno Stiftung Mein Körper gehört mir .................................... 8 FVS-Position Sexuelle Verstümmelungen gehören verboten 9 «Adopt a Dalit Village» FVS-Patenschaft für Keshavapuram Die FVS bittet die Mitglieder und Sympathisanten, die gerne einen Beitrag an das Entwicklungsprojekt der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union IHEU leisten möchten, um eine Spende auf: Postkonto 84-4452-6 Freidenker-Vereinigung der Schweiz 3001 Bern IBAN CH7909000000840044526 Danke! 15.9. Fr. 3681.– Vermerk: «Dalit» Ziel 2012 Fr. 4625.– Spendenbarometer Spenden ab Fr. 100.– werden automatisch verdankt, kleinere Beiträge auf Anfrage. Prozesskosten in der Schweiz Kanton Wallis Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die fristlose Entlassung von Valentin Abgottspon. Spendenstand 15.9.2012: Fr. 10'310.– Kosten bisher Fr. 6500.– NEU: Kanton Tessin Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen ein Kruzifix im Schulhaus in Cadro. NEU: Kanton Zürich Beschwerde gegen das Obligatorium des Fachs «Religion und Kultur». Alle Prozesse sind von grundsätzlicher Bedeutung und werden von der FVS finanziell mitgetragen. Wir bitten auch unsere Mitglieder nach ihren Möglichkeiten um einen Beitrag. Postkonto 84-4452-6 Freidenker-Vereinigung der Schweiz 3001 Bern Vermerk: «Prozesskosten Kanton X» IBAN CH7909000000840044526 Reta Caspar Neues Erwachsenenschutzrecht ...................... 10 FVS-Wegleitungen ........................................... 10 Raphael Weiss Gedanken unter dem Sternenhimmel ............ 12 Freidenker-Umschau ........................................ 10 Andres Kyriacou Welcher Gesellschaftsvertrag für die Schweiz? 13 Lesen ................................................................. 14 Agenda ............................................................. 15 Adressen ........................................................... 16 Danke! Impressum Gottlos glücklich – der Button zur Kampagne Der Button ist wieder erhältlich! Durchmesser: 2 cm, Farbe: Pink auf Weiss. Er kann mit frankiertem Retourcouvert und beigelegten CHF 5 in Briefmarken bestellt werden bei: Freidenkervereinigung der Schweiz Postfach 3001 Bern Herausgeberin: Freidenker-Vereinigung der Schweiz Geschäftsstelle Postfach 3001 Bern 031 371 65 67 www.frei-denken.ch Postkonto 84-4452-6 IBAN: CH7909000000840044526 Erscheinungsweise: vierteljährlich Redaktionsschluss: 10. des Vormonats Auflage: 2000 Redaktion: Reta Caspar redaktion@frei-denken.ch Jahresabonnement: Schweiz: Fr. 30.–, Ausland: Fr. 35.– (B-Post) Zweitabonnement für Mitglieder aus der Romandie und dem Tessin: Fr. 10.– Probeabonnement: 2 Nummern gratis Korrektorat: Petra Meyer www.korrektorium.ch Druck und Spedition: Printoset Flurstrasse 93 8047 Zürich www.printoset.ch ISSN 1662-9043 97. Jahrgang Namentlich gekennzeichnete Beiträge können, aber müssen nicht mit der Ansicht der Redaktion übereinstimmen. frei denken. 4 I 2012 In letzter Minute Mohammed-Demo in Bern Der Islamische Zentralrat Schweiz IZRS hatte für Samstag, 22. September 2012, zu einer Kundgebung aufgerufen für den Propheten Mohammed und einen «umfassenden Schutz religiöser Gefühle» in der Schweiz. Die Demo wurde von der Stadt Bern bewilligt, allerdings nicht der geplante Zug vor die amerikanischen Botschaft. Als Mitorganisatoren traten andere kleine Gruppierungen wie die «Muslimische Gemeinde Basel», «Bilal d'Ethiopie» und die «Vereinigung islamische Jugend Schweiz ViJS» auf. Die muslimischen Dachverbände FIDS und KIOS hatten sich von der Demo distanziert, was IZRS-Präsident Nicolas Blancho jedoch nicht daran hinderte, im Namen der «Muslime der Schweiz» zu sprechen. Die Kundgebung, an der laut Presseberichten rund 200 eher jüngere Personen teilgenommen haben, war offensichtlich vor allem auf internationale Propaganda ausgerichtet: Voten und Plakate waren teilweise in arabisch gehalten – nicht wenige DemonstrantInnen haben deren Inhalt nicht, oder nur teilweise verstehen können. Die FVS hat im Vorfeld mit einer Medienmitteilung auf die Fragwürdigkeit der Demo und der Forderungen hingewiesen. Editorial I 3 Anstoss zum Denken – bitte nutzen! 2012 wird im deutschsprachigen Raum als das Jahr der Beschneidungsdebatte eingehen – hoffentlich. Denn das Urteil von Köln hat eine Kontroverse ausgelöst, auf die sich offensichtlich niemand wirklich einlassen wollte: nicht die Muslime, um die es im konkreten Rechtsfall ging, nicht die Juden, die sich äusserst vehement gegen das – reflexartig als antisemitisch bezeichnete – Urteil auflehnten, und schon gar nicht die PolitikerInnen, die sich ebenso reflexartig für «Rechtssicherheit» stark machten und damit die öffentliche Diskussion schleunigst abklemmen wollten. Eine offene Gesellschaft muss aber auf solche Debatten eingehen. Sie kann die Unterschiede zwischen verschiedenen Traditionen in einer multikulturellen Realität nicht wegreglementieren, nicht durch Verbote, nicht durch Sonderrechte. Sie muss auch Spannungen aushalten zwischen einer wohl breit geteilten Auffassung über Freiheit, wie sie der deutsche Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel in der Süddeutschen Zeitung vertritt: «Ein Freiheitsrecht, in den Körper anderer einzugreifen, ist nicht denkbar» (S. 7), und dem Pochen auf «Gewohnheitsrecht» von religiöser Seite, wie Alfred Bodenheimer vom Zentrum für Jüdische Studien in Basel in seinem Essay «Haut ab!» (S. 14) postuliert. Gil Yaron, jüdischer Arzt in Israel, schrieb in seinem Beitrag «Unsere seltsame Tradition» in der FAZ: «Wir brauchen keine Rechtssicherheit, sondern eine Denkpause.» Jawohl. Und als FreidenkerInnen sind wir besonders berufen, diese Denkpausen zu fordern und zu nutzen. Gleichzeitig – und unabhängig vom Ergebnis von Denkpause und Debatte – sollten aber in staatlichen Krankenhäusern keine religiös begründeten Beschneidungen vorgenommen werden, denn medizinisch nicht Indiziertes gehört nicht an öffentliche Spitäler! Aus säkularer Sicht ist die Beschneidungsdebatte ein Anlass mehr, verschiedene gesellschaftspolitisch brisante Fragen zu stellen: Was verstehen wir unter Religionsfreiheit? Wo setzen wir ihr Grenzen? Wie viel «Anderssein» ertragen wir? Wie viel Konformität ist für ein friedliches Zusammenleben geboten? Wie sieht die Realität dieses Zusammenlebens in der Schweiz aus – diesseits des Mythos von Drei- oder gar Viersprachigkeit? Wie sehen wir ganz grundsätzlich die Freiheit des Menschen als Individuum, als Teil seiner Familie, als Mitglied seiner selbst gewählten Gruppe, und als BürgerIn unseres Staates? Darüber nachzudenken und zu debattieren ist kein Luxus, sondern demokratische Notwendigkeit. Denn nur wer einen Standpunkt hat und ihn mit vernünftigen Argumenten vertreten kann, hat eine Chance, im gesellschaftlichen Diskurs ernst genommen zu werden. Aber gleichzeitig müssen wir unvermeidliche Widersprüche und Ungewissheiten als solche erkennen und damit leben lernen, wenn wir den Anforderungen einer offenen Gesellschaft gewachsen sein wollen. Ich wünsche Ihnen – mit dieser letzten Nummer von frei denken. des Jahres 2012 – die dazu nötige Gelassenheit: Geniessen Sie einen Blick in den Sternenhimmel und das Nachdenken über das Denkbare und scheinbar Undenkbare und über die Poesie darin und dazwischen ... Reta Caspar FVS-Pressemitteilung 21.9.2012 Keine Sonderrechte für Fundamentalisten! Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz lehnt die vom Islamischen Zentralrat IZRS geforderte Einschränkung der Meinungsfreiheit klar ab. Es gibt keinen Grund, religiöse Ideologien mehr vor Kritik zu schützen als politische. Dies gilt auch dann, wenn sie als äusserst schlecht gemachte Satire daherkommt. Die Freidenker empfinden es als grotesk, dass der IZRS die Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit ausgerechnet in der Form einer Demonstration propagieren will. Mit der an die Schweiz gerichteten Warnung vor gewalttätigen Reaktionen wird zudem der religiös begründete Hooliganismus indirekt legitimiert. Die Freidenker empfehlen dem IZRS dringend, auf die dumme Provokation der christlich-fundamentalistischen Filmemacher mit Gelassenheit zu reagieren und in Bern vor allem gegen die Morde und Brandschatzungen islamischer Extremisten zu demonstrieren. Dies wäre wohl der grösste Gefallen, den sie den in der Schweiz lebenden Musliminnen und Muslimen erweisen könnten. Fundamentalisten aller Couleur empfehlen wir, sich auch technologisch an ihren «heiligen Büchern» zu orientieren, die ihnen offenbar für sämtliche Lebensfragen als Leitlinie dienen, und sich demzufolge vom Internet fernzuhalten. Damit können sie sich vor den Zumutungen einer offenen Gesellschaft selber schützen. frei ! lätze h2P Noc Kurs «Weltliche Rituale» Sonntag, 25. November 2012 9:30–16:00 Uhr in Olten Immer mehr Menschen suchen nach weltlichen Ritualen. Sie in einer besonderen Lebenssituation zu begleiten, ist eine schöne Aufgabe. In allen Sektionen werden weitere RitualbegleiterInnen gebraucht. Der Kurs bietet eine Einführung, die den Einstieg in die Tätigkeit ermöglicht. Zusätzlich wird auf Wunsch eine Begleitung durch eine erfahrene Person angeboten. Die Vertiefung erfolgt in jährlichen Weiterbildungsangeboten. Kursleitung: Reta Caspar, Ritualbegleiterin seit 2001 Kurskosten: Fr. 150.– (inkl. Kursunterlagen und Kaffee/Gipfeli/ Mineral. Lunch bringt jede/r selber mit.) Anmeldung: Einzahlung des Kursgeldes auf das Konto der FVS: PC 84-4452-6, Vermerk «Ritualkurs», bis 31. Oktober 2012 Auskünfte bei der Geschäftsstelle FVS 031 371 65 67 gs@frei-denken.ch oder auf www.frei-denken.ch «Rituale» frei denken. 4 I 2012 4 I Schweiz Wettbewerb für eine neue Nationalhymne Wie viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erachtet die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG den Text der Schweizer Nationalhymne als sprachlich sperrig und inhaltlich nicht mehr zeitgemäss. Sie ist der Überzeugung, dass ein neuer, der heutigen Schweiz angemessener Text die Nationalhymne aufwertet, ihr zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung verhilft und sie dadurch mit mehr Begeisterung gesungen wird. Die SGG hat sich deshalb entschlossen, in den kommenden Monaten einen nationalen Wettbewerb zur Neuvertextung der Nationalhymne auszuschreiben. Als Textgrundlage sollen Sinn und Gehalt der Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1999 dienen. Ziel der SGG ist es, den neuen Hymnentext am 1. August 2015 offiziell einzuführen. WettbewerbsteilnehmerInnen sollen in kreativer Art und Weise, unter Beibehaltung des bestehenden Melodiegerüsts, einen neuen Hymnentext entwerfen. Der Text muss in zwei Landessprachen eingereicht werden. Kontakt: Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG Schaffhauserstrasse 7, 8042 Zürich Telefon: 044 366 50 30 www.sgg-ssup.ch «Gebetsruf aus dem Bundeshaus»: Mehr als die Hälfte der ParlamentarierInnen hat nicht unterzeichnet! Die Frommen im Bundeshaus sind wieder für Unterschriften geweibelt. Am «Bettag», 16. September 2012, sollten ihrer Meinung nach alle Menschen in der Schweiz aufgefordert werden, zu «danken, für Stabilität und Wohlstand unseres Landes auch in einer schwierigen Zeit». Sie sollten «beten, dass Gott den Menschen in unserem Land beisteht und sie segnet», und sie sollten alle «Busse tun über unser persönliches und kollektives Fehlverhalten». Das sind drei Kernsätze aus einem Papier, das gemäss Berichterstattung in der NZZ fast das halbe Parlament, 94 National- und 19 Ständeräte, unterzeichnet hat. Das bedeutet aber umgekehrt auch: Mehr als die Hälfte hat den Aufruf nicht unterzeichnet, sei es aus persönlicher Distanz zur Religion oder aus der naheliegenden Überzeugung, dass «Gebetsrufe» nicht zu den Aufgaben von ParlamentarierInnen gehören. Im Sinne der Transparenz hat die FVS die Parteizugehörigkeit der 113 UnterzeichnerInnen auf aufgeschlüsselt: SVP 50, CVP 31, SP 11, FDP 8, BDP 7, EVP 2, GLP 2, GPS 1, CSP 1. Auch die Namen der UnterzeichnerInnen sind – nach Kanton geordnet – auf www.frei-denken.ch aufgelistet. Die Initianten sind vom Ergebnis ermutigt und wollen die Aktion wiederholen. Wir werden künftig nach Möglichkeit jährlich die UnterzeichnerInnen publizieren, damit sich Interessierte bei den nächsten National- und Ständratswahlen orientieren können. Neues aus den Kantonen Kt. AG Datenschutz zum Vorteil der Kirchen Im Kanton Aargau sollen die katholischen und reformierten Pfarrer wieder einfacher Spitalbesuche machen können. Dazu will die Aargauer Regierung nun das Gesundheitsgesetz ändern. Sie reagiert damit auf einen Vorstoss aus dem Grossen Rat. Hinter dem Entscheid steht ein Konflikt zwischen Seelsorge und Datenschutz. Neu soll es wieder so sein, dass die Kirche informiert wird, wenn eines ihrer Gemeindemitglieder ins Spital kommt. Die Patienten müssen aber gut darüber informiert werden, damit sie auch Nein sagen können zum Besuch des Pfarrers. erwünschte Besuch auch. Es ist aber nicht Aufgabe des Staates, hier eine Versorgungspflicht durch die Spitäler zu statuieren. Kt. BE Kanton bezahlt muslimische Gefängnisseelsorge Aufgegleist hat das «Projekt Knast-Imam» der neue Gefängnisdirektor. «Die Gefangenen haben den Imam eingefordert. Schon lange verlangen sie das Recht auf freie Religionsausübung. Sie wollen die Gleichberechtigung mit anderen Religionen.» Schliesslich gebe es für christliche Gefangene die PfarrerInnen. Noch ist das ImamAngebot in der Testphase. Bezahlt wird der Imam aus der Kasse des Kantons – genauso wie die evangelischen PfarrerInnen. Kt. BE Christliche Seilschaften im Berner Asylgeschäft? Die Art und Weise, wie die Heilsarmee vor sechs Jahren zum grössten Auftrag im bernischen Asylwesen kam, wirft zahlreiche Fragen auf. Über 20 Millionen Franken jährlich erhält die Organisation für die Führung der Durchgangszentren und die Unterbringung von Asylsuchenden in Wohnungen. Beim kantonalen Migrationsdienst, waren die christlichen Flüchtlingsbetreuer offenbar umstritten. Dass sie den Auftrag trotzdem erhalten hat, soll möglicherweise mit einem eng mit der Heilsarmee verbandelten Mitarbeiter zusammenhängen, mutmasste die Berner Zeitung am 26.7.2012. Kt. BL Eintreibung der Kirchensteuer nicht mehr gratis? Der Regierungsrat schlägt dem Landrat eine Änderung des Kirchengesetzes vor: Die Eintreibung der Kirchensteuer wurde bisher unentgeltlich zugunsten der Landeskirchen erbracht. Neu soll der Aufwand der Steuerverwaltung mit einer Bezugsprovision von einem Prozent abgegolten werden. Kt. BS Regierungsrat will Anerkennung der Aleviten Die Basler Regierung beantragt dem Grossen Rat die kantonale Anerkennung der beiden alevitischen Vereine in Basel. Diese würden dazu alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, heisst es in einer Regierungsmitteilung vom 14. August 2012. Auf Anfrage der FVS hat das zuständigen Departement mitgeteilt, dass damit keine besonderen Rechte verbunden seien. Kt. BE Grosser Rat will Pfarrlöhne weiter zahlen Die Löhne der Pfarrerinnen und Pfarrer im Kanton Bern sollen weiterhin vom Staat und nicht von der Kirche selbst bezahlt werden. Das Kantonsparlament hat den Vorstoss von Grossrat Adrian Wüthrich (SP, Huttwil), einen Bericht über einen Systemwechsel in Auftrag zu geben, mit 128 Nein- zu 15 Ja-Stimmen bei 5 Enthaltungen abgelehnt. Kt. FR Verurteilung wegen Beschneidung Das Kantonsgericht in Freiburg verurteilte eine Somalierin zu 60 Tagen gemeinnütziger Arbeit auf Bewährung wegen Mitverantwortung an einer Beschneidung ihrer Halbschwester. Es hob damit laut einem Artikel der Freiburger Zeitung «La Liberté» den Freispruch auf, den das Strafgericht des Saanebezirks im Jahr 2010 gefällt hatte. Das Kantonsgericht befand die Afrikanerin der Aussetzung für schuldig. Kt. BE Spitalseelsorge gesetzlich Im Rahmen der Revision des Spitalversorgungsgesetzes sollen gemäss Entwurf alle Spitäler verpflichtet werden, die Seelsorge anzubieten. Die Berner «Landeskirchen» haben sich zu LobbyingZwecken zusammengetan und eine eigentliche Lobby-Webseite eröffnet: www.spitalseelsorgebern.ch. Sie massen sich einmal mehr an, für alle da zu sein und zu sprechen: «Denn Spitalseelsorge sorgt nicht nur für mehr Menschlichkeit im Spital, sondern hilft auch mit, Kosten zu sparen. Bei Patientinnen und Patienten jeden Alters und jeder Konfession oder Religion.» Selbstverständlich sollte sein, dass Seelsorger auf Wunsch der Patienten unbeschränkt Zugang haben sollten, so wie jeder andere Kt. GR Jungfreisinnige reichen Kirchensteuerinitiative ein Das Bündner Stimmvolk wird über die Abschaffung der FirmenKirchensteuer abstimmen können. Die Jungfreisinnigen haben die dafür benötigte Zahl von 4000 Unterschriften gesammelt. In einem dramatischen Appell hat die katholische Kantonalkirche nun mitgeteilt, dass sie bei einem Wegfall der Kirchensteuer für juristische Personen 94 Prozent ihrer Einnahmen verlieren würde. frei denken. 4 I 2012 FVS I 5 Gesucht: Freiwillige für ein humanistisches Sommerlager Eine Woche lang Experimente durchführen, Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit kennenlernen und sich darin üben, kritisch zu denken – dies und mehr bieten die Camp Quests. Diese Sommerlager für Kinder und Jugendliche gibt es in den USA seit Mitte der 1990er-Jahre. 2009 fand auf Initiative von Samantha Stein das erste britische Camp Quest statt, sie berichtete darüber am letztjährigen Denkfest. Seither wurde das Konzept auch von Gruppierungen in Irland und Norwegen übernommen. Alle Trägerorganisationen teilen das Ziel, Kindern und Jugendlichen die Lust an philosophischen und wissenschaftlichen Themen zu wecken und ihnen ein rundum tolles Lagererlebnis zu bieten. Sport und Geselligkeit gehören deshalb ebenso zu einem Camp Quest wie Forschen und Debattieren. In Zürich entstand die Idee, im Sommer 2013 ein solches Angebot für rund 20 Kinder von ca. 8 bis 16 Jahren auf die Beine zu stellen. Wie überall wird das nur möglich sein, wenn Freiwillige mitmachen. Wer sich vorstellen kann, eine Woche mitzuwirken beim Philosophieren, Experimentieren, Kochen oder Sporttreiben, melde sich bei der Sektion Zürich (zuerich@frei-denken.ch / 076 479 62 96). Das Datum wird gemeinsam beschlossen. Zur Wahl stehen die Wochen ab 15. Juli, 29. Juli oder 5. August 2013. www.campquest.org www.camp-quest.org.uk Kantonale Plakatkampagnen zur Laizität Die folgenden KandidatInnen haben sich in der Umfrage der FVS für die vollständige Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen, Stand 20.9.2012. Die Liste wird auf dem Internet laufend aktualisiert. Auf www.wahlen.ch wird für beide Kantonswahlen die Frage «Sind Sie für eine klare Trennung von Kirche und Staat?» ebenfalls gestellt. Ein Blick darauf lohnt sich. Aargau: 21. Oktober 2012 Plakate in den Wochen 37 und 38 Aarau Tanner Christian Piraten, Wertnik Melina Piraten, Zschokke Dominic Piraten Baden Rothlin Urs FDP, Sommer Rudolf Piraten Laufenburg Balmer Martin Grünliberale Lenzburg Casutt David Grünliberale Rheinfelden Derrer Michael Grünliberale Zofingen Antenen Sascha SP/JUSO Kt. SG Gossau: Freidenker unerwünscht Auf dem Friedhof Hofegg haben Reformierte und Katholiken am Bettag eine neue Urnenwand eingeweiht. Im Vorfeld erinnerte ein reformierter Pfarrer die Behörden daran, dass die Freidenker 2009 einen Beitrag zur Feier des Gemeinschaftsgrabs geleistet hatten und forderte sie auf, die Freidenker ebenfalls wieder einzuladen. Aber es kam anders: Die neue Urnenwand reklamieren die Religiösen offenbar für sich alleine. Basel-Stadt: 28. Oktober 2012 Plakate in den Wochen 38 und 39 Grossbasel West Bernasconi Martina GLP, Cudré-Mauroux Mathieu CVP, Ditzler Christoph GB, Graf Christiane FDP, Jegen Silvan Piraten, Müller Fabian JGB, Richner Jochen FDP, Seelhofer Daniel Piraten, Urgese Luca FDP, Utinger Battist Piraten, Weissen André CVP. Kt. SO Jugend wird den Evangelikalen überlassen Der einzige Jugendtreff in Aarburg bei Olten stand zweieinhalb Jahre leer, weil aus Spargründen die Stelle der Sozialarbeiterin nicht wieder besetzt worden ist. Stattdessen stellt die Stadt nun dem Jugendpastor der Freikirche BewegungPlus die Räumlichkeiten gratis zur Verfügung. Auch andernorts bauen Freikirchen die Jugendarbeit aus – während Gemeinden sparen. Zwar mit der Auflage, nicht zu missionieren – aber das ist genau das Motiv von evangelikalen Gruppierungen. Ob in Jugendprojekten, in der Flüchtlingshilfe, in der Migrantenbetreuung oder der Gefängnisseelsorge – immer geht es gläubigen Christen um das eine Ziel: «Wir wollen Menschen helfen, Jesus kennenzulernen und ihm nachzufolgen.» Grossbasel Ost Alioth Henry LDP, Fink Andreas Piraten, Hecht Hans Rudolf GLP, Isler Beatrice CVP, Keller René BDP, Lienhard Nadine GLP, Meury Cedric Piraten, Schaad Thomas Piraten, Thaler Fabiano GB, Widmer Dorothee GLP, Zanolari Dominik FDP Kleinbasel Allemann Daniel FDP, Ehrismann André GLP, Fischer Tobias FDP, Gautschi Urs Piraten, Hubler Richard FDP, Kaiser Christian FDP, Linder Karl GLP, Mächler Pat Piraten, Seiler Daniel FDP, Wyss Sarah SP Riehen Sturm Andreas GLP Die FVS in den Medien 19.6.2012 – 22.9.2012 Kulturtipp 22.9.2012 Kulturmagazin mit Programm von Radio & TV-Kultursendern Die Religion ist uns im Alltag weitgehend abhandengekommen A. Kyriacou P.S. 13.9.2012 Zürcher Politik- und Kulturblatt Kt. SZ Sanierungsbeitrag an das Kloster Einsiedeln Mit 61 Prozent Ja haben die Schwyzer StimmbürgerInnen einem zweiten Beitrag von 8 Millionen Franken an die anstehenden Investitionen des Klosters in der Höhe von total 63,5 Millionen Franken zugestimmt. Im Kantonsrat war der Kredit mit 81 zu 1 Stimmen genehmigt worden. Offene Opposition gab es keine. Bei den Befürwortern dürfte jedoch vermutlich das Argument der wirtschaftlichen Bedeutung des katholischen Tourismus den Ausschlag gegeben haben – vor kulturellen oder gar religiösen Argumenten. Gespräch zum Denkfest 2012 Andreas Kyriacou reformiert. 31.8.2012 «Du sollst dir (k)ein Bildnis machen» Reta Caspar NZZ am Sonntag 19.8.2012 Leserbrief zu «Mitgliederboom bei den Freidenkern» Andreas Kyriacou NZZ am Sonntag 12.8.2012 Kt. VS Kirchenfinanzierung – durch alle Per 1. September 2012 erhalten die Pfarrer und die in der Seelsorge tätigen Laien im Wallis eine pauschale Lohnerhöhung von monatlich 200 Franken, unabhängig von den üblichen Erfahrungsanteilen und dem Teuerungsausgleich. Wo die Kirchen ihre Kosten nicht selber decken können, springt die politische Gemeinde ein – aus allgemeinen Steuermitteln. Daneben überwies der Kanton Wallis dem Bischof von Sitten im vergangenen Jahr grosszügigerweise 824´000 statt der budgetierten 500´000 Franken. «Mitgliederboom bei den Freidenkern» Reta Caspar Weltwoche 9.8.2012 «Die Seele bleibt heil» Valentin Abgottspon Landbote 16.7.2012 Bericht über Rituale, Kasten über Angebot der Freidenker Reta Caspar Landbote 4.7.2012 «Kirche bald als Subventionsempfänger?» Reta Caspar Radio Capital 19.6.2012 Volkszählung 2010: 20 Prozent Konfessionsfreie Reta Caspar news.ch frei denken. 4 I 2012 Wöchentliche Freidenker-Kolumne Valentin Abgottspon und Reta Caspar 6 Michael Burkard Das Kölner Beschneidungsurteil aus juristischer Sicht Streitpunkt Kindeswohl Die Feststellung des Landgerichts Köln vom Mai 2012, wonach die Beschneidung eines minderjährigen Jungen rechtswidrig und damit grundsätzlich strafbar ist, wirft weit über Deutschland hinaus noch immer hohe Wellen. Unter den Juristen in der Schweiz scheinen die gegenüber dem Kölner Urteil kritisch eingestellten Stimmen in der Überzahl zu sein. Grund genug also für die FVS, sich mit den gegenläufigen juristischen Argumenten in diesem Rechts- und Meinungsstreit näher auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt des Kölner Verfahrens bildete die Beschneidung eines vierjährigen muslimischen Jungen, wobei ernsthaftere medizinische Komplikationen auftraten. Trotzdem wurde der behandelnde Arzt in erster Instanz freigesprochen. In seinem Urteil vom September 2011 befand das Amtsgericht Köln, dass der Eingriff zum Wohl des Kindes erfolgt und daher das fachlich einwandfreie Handeln des Arztes durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt gewesen sei. Weil die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einlegte, hatte sich in zweiter Instanz das Landgericht Köln mit dem Fall zu befassen. Obwohl das Landgericht Köln im Mai 2012 die Berufung der Staatsanwaltschaft abwies und den Arzt im Ergebnis für schuldlos erklärte, warf die Begründung des Urteils hohe Wellen. Denn das Gericht hatte den Eltern schlicht die Befugnis abgesprochen, rechtswirksam in die Beschneidung ihres Kindes einzuwilligen und dadurch das Handeln des Arztes zu rechtfertigen. Konsequenterweise wurde der Freispruch der Vorinstanz nur deshalb aufrecht erhalten, weil das Landgericht dem Arzt zubilligte, sich in Bezug auf die Rechtmässigkeit seines Tuns geirrt zu haben. Damit demonstrierte das Landgericht Köln auch gegen aussen, dass es sein Urteil in erster Linie als Beginn einer grundlegenden Praxisänderung verstanden wissen wollte. welcher juristischer Beurteilung zugänglich ist und durch eine entsprechende Abwägung von sich widerstreitenden Grundrechtspositionen gelöst werden konnte. Politische Reaktion Bekanntlich ist die Rechtsauffassung des Landgerichts Köln nicht unwidersprochen geblieben. Erwartungsgemäss äusserten sich zunächst die betroffenen Religionsgemeinschaften missbilligend. Darauf folgte insbesondere in Deutschland hektischer politischer Aktionismus, um die befürchtete Praxisänderung der Gerichte mit gesetzgeberischen Mitteln zu verhindern. So hat beispielsweise der Deutsche Bundestag am 19. Juli 2012 mit grosser Mehrheit einem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zugestimmt, welcher die Bundesregierung auffordert, «einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist».1 Sachlicher zwar, aber mit vergleichbarem Ergebnis hat sich der Deutsche Ethikrat mit der Beschneidungsproblematik auseinandergesetzt. Denn im Ergebnis erachtete auch der Ethikrat die Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen als grundsätzlich zulässig, wenn dabei gewisse Mindestanforderungen wie eine qualifizierte Schmerzbehandlung beachtet und zu diesem Zweck rechtliche und fachliche Standards geschaffen werden.2 In der Schweiz reagierte als erste Institution das Kinderspital Zürich auf das Urteil aus Köln und verhängte am 5. Juli 2012 ein Moratorium für sämtliche nicht medizinisch indizierten Knabenbeschneidungen. Das Moratorium wurde am 5. August 2012 allerdings wieder aufgehoben.3 Andere Spitäler reagierten gelassener und führten ihre Praxis in Bezug auf die Beschneidung minderjähriger Knaben trotz interner Diskussionen ohne Unterbrechung fort. Gerichtliche Innovation Aus juristischer Sicht ist die Begründung des Urteils des Landgerichts Köln bemerkenswert. Das Landgericht stellte zunächst klar, dass anlässlich der Beschneidung nur die Einwilligung der Eltern, nicht aber diejenige des Knaben vorgelegen habe. Vom Sorgerecht der Eltern und damit von deren Einwilligung seien aber nur solche Massnahmen abgedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Unter diesem Gesichtspunkt prüfte – und verwarf – das Landgericht sodann in allgemeiner Weise die Auffassung der Vorinstanz, wonach Beschneidungen dem Kindeswohl förderlich seien. Denn erstens seien Beschneidungen nicht nötig, um Ausgrenzungen von Kindern innerhalb ihres jeweiligen religiös-gesellschaftlichen Umfelds zu vermeiden. Zweitens werde eine Beschneidung auch nicht durch die den Eltern zukommenden Grundrechte gerechtfertigt. Denn die Religionsfreiheit und das Recht der Eltern, über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, werde vom Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit begrenzt. Setzen sich Eltern über das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit hinweg und lassen sie jene dennoch beschneiden, so ist dies nach Auffassung des Landgerichts im Mindesten unverhältnismässig und daher rechtswidrig. Aus der Sicht des Landgerichts Köln handelte es sich bei der Frage der Knabenbeschneidung also um einen Grundrechtskonflikt, Zwei Juristen, drei Meinungen Ebenfalls kontrovers wurde das Urteil aus Köln in Juristenkreisen aufgenommen. Innerhalb der noch immer wogenden juristischen Diskussion scheinen sich drei Lager herauszubilden, nämlich einerseits kritische und andererseits befürwortende Positionen sowie eine dritte, rechtspolitisch argumentierende Strömung. Die ersten beiden Standpunkte werden vor allem unter Strafrechtsexperten diskutiert. Die dritte Strömung ergibt sich demgegenüber aus einer Betrachtungsweise, welche die in Konflikt zueinander stehenden Grundrechte genauer untersucht. Diese letztere Lehrmeinung kommt im Gegensatz zum Landgericht Köln zum Schluss, dass es sich bei der Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung Minderjähriger gar nicht um einen klassischen Grundrechtskonflikt handelt. Vorderhand scheinen auch unter Juristen die Kritiker des Kölner Urteils in der Überzahl zu sein. In der Schweiz haben sich bislang die Strafrechtsprofessoren Günter Stratenwerth, Stefan Trechsel und Marcel Niggli kritisch gegenüber dem Kölner Urteil geäussert. In der NZZ wurde Stratenwerth mit frei denken. 4 I 2012 7 des Kindes erfolge. Das sei bei medizinisch notwendigen Eingriffen wie Impfungen und dergleichen der Regelfall. Was aber ist mit medizinisch nicht indizierten, bloss aus religiösen Gründen erwünschten Eingriffen in die körperliche Integrität eines Kindes? Sind Fälle denkbar, in denen ein Eingriff in die körperliche Integrität eines Kindes aus religiösen Gründen gerechtfertigt erscheint? Bereits das Landgericht Köln hatte in seiner Begründung auf zwei mögliche Motive zur Rechtfertigung einer Körperverletzung kraft Sorgerechts der Eltern hingewiesen, sie jedoch anschliessend verworfen. Zunächst ist an das elterliche Erziehungsrecht zu denken, welches sich auch auf die religiöse Erziehung erstreckt. Wie vor ihm das Landgericht Köln verneint auch Merkel, dass sich die Beschneidung unter Berufung auf das elterliche Erziehungsrecht rechtfertigen lässt. der Aussage zitiert, die Beschneidung sei «ein Akt elterlicher Fürsorge und Ausdruck der Aufnahme in ihre Religionsgemeinschaft». Weil die Beschneidung unter rechtlichen Gesichtspunkten als einfache Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches zu werten sei, werde sie nur auf Antrag verfolgt. Das erkläre, so Stratenwerth, dass es deswegen in der Schweiz bislang noch zu keinem Strafverfahren gekommen sei. Dieser Auffassung wird von Martin Kilias, Professor für Strafrecht an der Universität Zürich, widersprochen. Nach Kilias erfüllt die Beschneidung minderjähriger Knaben sogar den schwerer wiegenden Tatbestand von Art. 123 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches, der die Körperverletzung von Wehrlosen oder Kindern zum Offizialdelikt erklärt, das von Amtes wegen zu verfolgen ist. Dem Einwand, dass bei einer solchen Betrachtungsweise auch medizinische Eingriffe strafrechtlich verfolgt werden müssten, begegnet Kilias mit dem Gegenargument, dass medizinisch indizierte Körperverletzungen vom Strafgesetzbuch selbst als gesetzlich erlaubte Handlungen ausgeklammert würden (Art. 14 Strafgesetzbuch). Gleiches gelte aber nicht für bloss religiös motivierte Körperverletzungen. Zu einem anderen Ergebnis kommt die dritte Betrachtungsweise, welche statt der strafrechtlichen Elemente vielmehr die auf dem Spiel stehenden Grundrechte ins Zentrum ihrer Analyse rückt. Ein Exponent dieser Lehrmeinung ist Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht an der Universität Hamburg. Merkel ist zudem auch Mitglied des Deutschen Ethikrats, der sich wie erwähnt für ein kontrolliertes Recht auf Beschneidung ausgesprochen hat. Aus diesem Grund sind die Überlegungen von Reinhard Merkel nicht nur für das Verständnis des Urteils des Landgerichts Köln wertvoll, sondern können auch hilfreiche Denkanstösse für eine Versachlichung der Diskussion bieten. «Rechtspolitischer Notstand» Weniger eindeutig verhält es sich mit dem zweiten Argument, wonach eine Beschneidung notwendig sei, um den Jungen rituell in die betreffende Religionsgemeinschaft aufzunehmen, was umgekehrt bedeutet, dass ihn die Beschneidung vor einer Ausgrenzung durch ebendiese Religionsgemeinschaft bewahren soll. Gegen dieses Argument führt Merkel Tatsachen ins Feld. Er verweist auf die wachsende Anzahl jüdischer und muslimischer Männer, welche sich nicht (mehr) beschneiden lässt und trotzdem ihrem jeweiligen Glauben nachlebt. Gegen dieses Argument wird von religiöser Seite vorgebracht, dass es durchaus Religionsgemeinschaften gebe, welche eine Beschneidung als konstitutiv, das heisst als zwingende Voraussetzung für die Aufnahme eines Jungen in ihren Kreis betrachten. An diesem Punkt – und erst an diesem Punkt – soll nach Merkel eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter Platz greifen. Denn gerade derjenige Fall, der Anlass für das Kölner Urteil gab, zeigt exemplarisch, dass Knabenbeschneidungen auch dann gesundheitliche Risiken bergen, wenn sie von einer medizinischen Fachperson und unter hygienisch einwandfreien Bedingungen vorgenommen werden. Zudem verweist Merkel auf das Problem unzureichender Lokalanästhetika oder gar gänzlich fehlender Anästhesie, was insbesondere kleinen Kindern grosse Schmerzen verursacht. Abwägend zwischen den möglichen gesundheitlichen Risiken einerseits und der Gefahr, dass andererseits das unbeschnittene Kind nicht in die Religionsgemeinschaft aufgenommen werden könnte, kommt Merkel zum Schluss, dass die Gesundheit des Kindes höher zu gewichten sei. Aus diesem Grund hält Merkel Beschneidungen selbst dann für rechtswidrig, wenn sie für eine Aufnahme in die betreffende Religionsgemeinschaft konstitutiv sind. Weil die Knabenbeschneidung jedoch insbesondere für das Judentum einen konstitutiven Brauch darstelle und gerade Deutschland aufgrund seiner Geschichte zu besonderer Sensibilität gegenüber jüdischen Belangen verpflichtet sei, befinde man sich, so Merkel, in einem «rechtspolitischen Notstand». Dieser «normative Konflikt» könne nun aber nicht mit den klassischen Methoden juristischer Rechtsgüterabwägung gelöst, sondern allenfalls gestützt auf eine sorgfältige rechtspolitische Abwägung der auf beiden Seiten der Waagschale ins Gewicht fallenden Interessen abgemildert werden.4 1 Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP vom 19.07.2012 betreffend die rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen, siehe: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/103/1710331.pdf. 2 Pressemitteilung 09/2012 des Deutschen Ethikrats vom 23.08.2012, siehe: http:// www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09-2012/. 3 Medienmitteilung des Kinderspitals Zürich vom 10.08.2012, siehe: http://www. kispi.uzh.ch/news/Medienmitteilungen/MM_Beschneidung_von_Knaben_10%20 08%202012.pdf. 4 Reinhard Merkel, «Die Haut eines Anderen», in Süddeutsche.de, 30.08.2012, siehe: http://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidungs-debatte-die-hauteines-anderen-1.1454055. Kindeswohl im Mittelpunkt Ausgangspunkt der Überlegungen von Merkel ist die Feststellung, dass – mit Ausnahme von Notrechten wie der Notwehr – grundsätzlich keine Freiheitsrechte denkbar sind, die eine direkte Verletzung des Körpers einer anderen Person erlaubten. Daher komme eine Abwägung zwischen verschiedenen Freiheitsrechten überhaupt nur dann zur Anwendung, wenn klassische Freiheitsrechte auf dem Spiel stehen, die andere Personen zwar beeinträchtigen, aber nicht direkt verletzen können. Als Beispiel für einen solchen durch Abwägung zu lösenden Grundrechtskonflikt nennt Merkel das Läuten – oder, für andere Ohren – den Lärm von Kirchenglocken. Werde aber, wie im Falle der Beschneidung minderjähriger Knaben, der Körper einer anderen Person verletzt, komme eine Grundrechtsabwägung von vornherein nicht zum Tragen. Im Falle minderjähriger Kinder könne daher ein Eingriff in deren körperliche Integrität nicht unter Berufung auf die Religionsfreiheit der Eltern, sondern höchstens gestützt auf das Sorgerecht der Eltern legitimiert werden. Diesfalls werde aber vorausgesetzt, dass der körperliche Eingriff zum Wohl frei denken. 4 I 2012 89I Traditionen können und müssen sich ändern In New York kritisiert die Gesundheitsbehörde die Praxis von ultraorthodoxen Juden, welche bei der Beschneidung von Knaben nach alter Tradition das austretende Blut mit dem Mund absaugen (Metzitzah B’peh, wörtlich übersetzt: oral-genitale Beschneidung). Diese Praxis birgt medizinische Risiken für das Kind durch potenzielle Infektion z. B. mit dem Herpesvirus. Eine Minderheit der Behörde ist der Meinung, dass die Praxis sogar ganz verboten werden müsse. Neu sollen künftig in New York beide Eltern über diese Praxis schriftlich informiert werden und beide schriftlich zustimmen müssen. Die Ultraorthodoxen wollen nun Beschwerde einreichen, bevor die Regelung – 30 Tage nach Publikation – in Kraft tritt, weil nach ihrer Auffassung ein Knabe ohne diesen nach über 3000 Jahre alter Tradition ausgeführten Teil der Beschneidung nicht jüdisch sei und es ihnen damit verunmöglicht werde, den eigenen Kindern das Wichtigste im Leben weiterzugeben. www.nytimes.com 14.9.2012 GBS: Kinder sind keine Besitztümer ihrer Eltern, son Diese Rechtsauffassung, die sich u.a. in der UN-Kinderrechtskonvention widerspiegelt, hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Trotzdem werden Kinderrechte oft noch ignoriert. Aus diesem Grund plante die Giordano-BrunoStiftung eine Kinderrechtskampagne, die ursprünglich 2013 starten sollte. Als sich nach dem Urteil des Landgerichts Köln eine öffentliche Debatte zur Knabenbeschneidung entwickelte, fiel der Entschluss, diese Kampagne vorzuziehen und mit dem Schwerpunktthema «Zwangsbeschneidung» beginnen zu lassen. Schliesslich geht es bei der Frage nach der Zulässigkeit der Knabenbeschneidung um zentrale Kinderrechte, nämlich um das Selbstbestimmungsrecht sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes, die hier im Konflikt zur Erziehungsgewalt der Eltern stehen. Die Religionsfreiheit, die in der öffentlichen Debatte eine grosse Rolle spielt, ist demgegenüber nebensächlich, da sich die Religionsfreiheit der Eltern nur auf sie selbst erstreckt – nicht aber auf ihre Kinder, die das Recht haben, ihre eigenen religiös-weltanschaulichen Überzeugungen zu entwickeln, unabhängig davon, was die Eltern glauben. (Auch Kinder haben ein Recht auf Religionsfreiheit!) Wir begreifen jede medizinisch nicht notwendige Knabenbeschneidung als Unrecht, erkennen jedoch an, dass Eltern, die ihre Söhne aus religiösen oder «hygienischen» Gründen beschneiden lassen, glauben, nur «das Beste» für ihre Kinder zu tun. Allerdings sollten auch sie die neuen medizinischen Studien zur Kenntnis nehmen, die eindrucksvoll belegen, dass es sich bei der Vorhautbeschneidung um einen risikoreichen, schmerzvollen, mitunter sogar traumatisierenden Eingriff handelt, der mit der irreversiblen Amputation eines hochsensiblen, funktional nützlichen Körperteils verbunden ist. Die Zwangsbeschneidung von Knaben ist also keineswegs eine Bagatelle, wie man früher vermutete, sondern sehr wohl vergleichbar mit den «milderen» Formen der weiblichen Genitalverstümmelung, die zu Recht geächtet wird. Wir fordern die deutschen Politiker auf, die Selbstbestimmungsrechte der Kinder höher zu gewichten als die Beschneidungsinteressen der Eltern, die in vielen Fällen bloss einem sozialen Gruppendruck folgen und über die Konsequenzen der Zirkumzision nur unzureichend aufgeklärt sind. Unser Appell an die Parlamentarier lautet: Sorgen Sie dafür, dass Religionsfreiheit nicht mehr als Freibrief verstanden wird, Kindern Schmerzen zufügen zu dürfen! Unterstützen Sie die Aufklärungsarbeit internationaler Kinder- und Jugendärzte sowie fortschrittlicher Juden und Muslime, die das Ritual der Vorhautbeschneidung seit Langem kritisieren! Vertreten Sie die Rechte des Kindes auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit, indem Sie Art. 24 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in die Tat umsetzen: «Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Massnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.» www.pro-kinderrechte.de Aufgrund der Debatte in New York lehnten sich auch die Vereinigung der Kinderärzte (IAPA) in Israel gegen ein uraltes Ritual auf. Die Ärzte forderten das israelische Gesundheitsministerium auf, in Krankenhäusern und Babykliniken darüber zu informieren, dass Metzitzah B’peh nicht nötig sei. Das Oberrabbinat reagierte mit einer Erklärung, dass Mohalim die Eltern ohnehin über Risiken aufklären und ihnen die Wahl lassen würden. «Und die meisten wählen die Pipette», betonte der Leiter der Beschneidungsabteilung des Rabbinats, Mosche Marciano. Tatsächlich wird heutzutage bei den wenigsten Beschneidungen Metzitzah B’peh angewandt, sondern eine sterile Pipette benutzt. www.juedische-allgemeine.de 16.8.2012 Angst vor den Müttern? Interessant an diesem Fall ist, dass die Ultraorthodoxen sich gegen eine Vorschrift wehren, dass beide Eltern unterschreiben müssen. Das kann wohl nur bedeuten, dass sie nicht möchten, dass die Frauen hier etwas zu sagen haben, weil sie fürchten, dass die Frauen – selber nicht physisch durch die Tradition an das Ritual gebunden – als Mütter der Neugeborenen da möglicherweise nicht diskussionslos zustimmen würden. Transformation ist möglich Das Beispiel zeigt zudem, dass die Tradition der Beschneidung selber Transformationen erfahren haben, dass neue Erkenntnisse der Medizin die Praxis bereits verändern konnten. Interessant ist auch, dass offenbar unter Juden diese verschiedenen Praktiken der religiösen Beschneidung nicht durchwegs bekannt sind. Innerhalb der Religionsgemeinschaft wird also darüber kaum gesprochen. Es ist dieses nicht Diskutierte, nicht Diskutierbare, das die Tradition so mächtig macht. Dadurch, dass die Traditionen von aussen angegriffen werden, wird nun aber auch die interne Debatte angeregt. Deshalb ist das Urteil von Köln auch so wichtig. Nur Richter können solche Bewertungen äussern, ohne gerade direkt dem Antisemitismusvorwurf ausgesetzt zu werden. Die nun angestossene Debatte sollte deshalb auch nicht von der Politik durch den voreiligen Erlass einer Sonderregelung abgewürgt werden. Die Politik muss solche Spannungen aushalten und Zeit zur Reta Caspar Lösungsfindung geben. Am «Weltkindertag», 20. September 2012, ist die Kampagne der GBS angelaufen: Neben traditionellen Plakaten war auch dieses «Plakat auf Rädern» mehrere Tage in Berlin unterwegs. Die FVS gehört zu den Unterstützerinnen der Kampagne. Spenden für die Kampagne können überwiesen werden an: Giordano Bruno Stiftung, Auf Fasel 16 D- 55430 Oberwesel Konto-Nr: 2 222 222, BLZ: 560 517 90 Kreissparkasse Rhein-Hunsrück IBAN: DE40 5605 1790 0002 2222 22, BIC: MALADE51SIM Verwendungszweck «Pro Kinderrechte» «Mein Körper gehört mir!» Plakatkampagne in Deutschland frei denken. 4 I 2012 I 9 Position der FVS Sexuelle Verstümmelungen gehören verboten Stellungnahme zum «Verbot von sexuellen Verstümmelungen» vom 15. Juni 2009 1. Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz begrüsst die Einführung eines neuen, spezifischen Straftatbestandes der Verstümmelung weiblicher Genitalien. 2. Im Sinne des Minderheitsantrages der Kommission unterstützt die FVS die Androhung einer Freiheitsstrafe. 3. Analog zum sexuellen Missbrauch schlagen wir auch bei diesem Straftatbestand die Unverjährbarkeit vor. Beschneidung von Knaben ist ebenfalls Genitalverstümmelung Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass auch die religiös oder kulturell begründete Beschneidung von Knaben eine Verstümmelung darstellt, welche die Integrität der Betroffenen verletzt. Ärzte stehen der Beschneidung von Knaben ohne medizinische Indikation vermehrt kritisch gegenüber. Jeder nicht ernsthaft medizinisch begründete chirurgische Eingriff an den Genitalien von Minderjährigen ist eine Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit. Eine alleinige Regelung der weiblichen Beschneidung ist ein falsches Signal, auch wenn die Tatbestände der weiblichen und männlichen Beschneidung sich in ihrer Tragweite grundsätzlich unterscheiden. Ergänzung 2012 zur Intersexualität Auch die operative Behandlung von intersexuell geborenen Kindern allein zur Definition ihrer äusserlichen Geschlechtszugehörigkeit ist aufzugeben. Sie verletzt die fundamentalen Rechte des Kindes. dern eigenständige Träger von Menschenrechten! Petition für ein Moratorium Deutsche Kinderschützer haben eine Petition an das deutsche Parlament lanciert, die für die nächsten zwei Jahre keine gesetzlichen Schritte zur Legitimation der Beschneidung fordert: «Der Deutsche Bundestag möge beschliessen, zunächst für zwei Jahre keine gesetzlichen Schritte zur Legitimation der Beschneidung von Jungen in Deutschland zu ergreifen. Weiterhin möge der Deutsche Bundestag die Einsetzung eines Runden Tisches mit Experten aus allen Gebieten beschliessen, um das Thema Beschneidung in Deutschland wissenschaftlich fundiert zu diskutieren und eine Strategie zu erarbeiten, welche alle Interessen, vor allem aber die Belange des Kindeswohls, berücksichtigt.» In der Begründung schreiben die Petenten: «Die Petenten erkennen, dass in der durch das Urteil des LG Köln ausgelösten notwendigen Debatte über die medizinisch nicht indizierte Beschneidung von Jungen einseitig das Thema Religionsfreiheit dominiert. Sie verstehen die Reaktionen von muslimischen und jüdischen Verbandsvertretern, die eine lange Tradition in Frage gestellt sehen, und sie haben Verständnis dafür, dass diese sich für ein Festhalten an ihren Bräuchen und Traditionen einsetzen. Der Dialog und das Miteinander des Staates und der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften ist ein hohes und wichtiges Gut, das sich in Art. 4 Grundgesetz (GG) wiederfindet. Gleiches gilt für das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 II 1 GG. Doch gelten beide Rechte trotz ihres Verfassungsranges nicht vorbehaltlos und müssen sich der Abwägung mit anderen Grundrechten stellen. Hier gilt es die bisher im Diskurs vollständig vernachlässigten Belange der Kinder, rechtlich normiert in Art. 2 GG, Art. 6 II 2 GG und Art. 19 I und Art. 24 III der UNKinderrechtskonvention, zu berücksichtigen. Mediziner haben klar und sachlich deutlich gemacht, dass eine Beschneidung ein gravierender und irreparabler Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes ist. Psychologen befürchten Traumata. Bei ca. 10 Prozent der sachgerecht durchgeführten Beschneidungen treten Komplikationen auf. Zudem existieren zahlreiche Studien, die keine Evidenz für eine Gesundheitsdienlichkeit als mögliche Rechtfertigung dieses Eingriffes im Sinne des Kindeswohls zeigen konnten. Die Petenten sehen die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen immer stärker in die Argumentation einfliessen und es der Politik unmöglich machen, eine Güterabwägung im Interesse des Kindeswohls auch nur ansatzweise zuzulassen. Vorsicht geboten ist ebenso bei der Vereinheitlichung des muslimischen und jüdischen Glaubens, gibt es doch auch hier ein breit gefächertes Meinungsbild zum Thema kindliche Beschneidung. Als notwendig und lohnenswert für alle Interessengruppen empfinden die Petenten daher einen sachlichen, verantwortungsvollen und umfassenden Dialog aller Akteure als Alternative zu einem übereilten politischen Aktionismus. Eine breite Debatte ist in Anbetracht der Bedeutung der betroffenen fundamentalen Rechte und Güter unabdingbar und muss von der Politik zugelassen werden.» www.die-petition.de frei denken. 4 I 2012 Debatte im Parlament war keineswegs eingehend Verschiedentlich wurde behauptet, im Rahmen der Debatte zum Strafbestand der weiblichen Genitalverstümmelung sei der Einbezug der Knabenbeschneidung im Parlament ausführlich diskutiert und klar abgelehnt worden. Ein Blick in die Dokumente ergibt ein anderes Bild: In seiner Stellungnahme wies der Bundesrat darauf hin, dass es nicht ganz konsequent sei, «die Verletzung ausschliesslich der weiblichen, nicht aber auch der männlichen Genitalien in einem Sondertatbestand zu erfassen. Diese Ungleichbehandlung lässt sich nur insoweit rechtfertigen, als die schwere Art der Verletzung weiblicher Genitalien über den Hauptfall der männlichen Beschneidung hinausgeht. Zudem beschränkt sich auch das internationale Recht auf die Ächtung der Verletzung der weiblichen Genitalien. Bezüglich der männlichen Beschneidung gibt es keine internationalen Vorgaben.» Bei den Beratung im Nationalrat wurde die Frage vom Arzt Dominique Baettig (SVP, JU) gestellt. Die Initiantin Maria RothBernasconi (SP, GE) hat sie aber vom Tisch gewischt und sich einen Vergleich mit der weiblichen Beschneidung verbeten. Auf Nachfrage von Filippo Leutenegger (FDP, ZH) sagte Kommissionssprecherin Barbara Schmid-Federer (CVP, ZH): «Über diese Frage haben wir tatsächlich längere Zeit diskutiert. Eine Mehrheit der Kommission hat dann aber beschlossen, die Beschneidung von Männern nicht in dieses Gesetz einzubeziehen, weil deren Sexualität ja durch die Beschneidung nicht beeinträchtigt wird und weil es bei ihnen auch keine Verstümmelung im Sinn von schwerer Verletzung ist.» www.parlament.ch WS 2010, 16.12. 2010 CH: Parlamentarischer Vorstoss «Wir müssen lernen, dass Kinder sich selber gehören» Jacqueline Fehr, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung Kinderschutz, hat eine Motion für das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit angekündigt. Sie setze sich dafür ein, «dass Kinder als eigene Rechtssubjekte anerkannt werden. Körperliche Eingriffe, die medizinisch nicht nötig sind, sollen deshalb so lange verschoben werden, bis das Kind selber entscheiden kann. Es gibt bei nicht medizinisch notwendigen Eingriffen keinen Grund zur Eile und keinen Grund, anstelle der Kinder zu entscheiden. [...] Mein Interesse gilt den Kindern. Und meine Wertgrundlagen sind die Menschenrechtskonvention und die Kinderrechtskonvention der UNO. Würden wir diese den religiösen Traditionen unterordnen, wäre bei uns nach wie vor die Polygamie erlaubt und die homosexuelle Lebensgemeinschaft verboten.» Tagesanzeiger.ch/Newsnet vom 05.09.2012 Die FVS hat Frau Fehr für ihr Engagement gedankt. 10 Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Selbstbestimmung vor Staatseingriff Die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (Art. 360 ff. ZGB), die seit dem Inkrafttreten im Jahr 1912 weitgehend unverändert geblieben sind, werden per 1. Januar 2013 an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst. Dabei wird insbesondere das Selbstbestimmungsrecht jener Personen, die ihr Leben ohne fremde Hilfe nicht mehr meistern können, gestärkt. Vorsorgeauftrag Damit kann eine Person rechtzeitig bestimmen, wie und durch wen (natürliche oder juristische Person) sie sich betreuen lassen will und wer ihre rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten besorgen soll, sollte sie eines Tages – wegen Unfalls, Krankheit oder Altersdemenz – urteilsunfähig werden. Dieser Auftrag kann eigenhändig geschrieben (komplett von Hand, datiert und unterschrieben) oder öffentlich beurkundet werden. Die Aufgaben müssen detailliert bezeichnet werden. Der Vertrag kann beim Zivilstandsamt hinterlegt werden. Kritik: keine unabhängigen Kinderanwälte Eine verbindliche Regelung für einen Kinderanwalt bei Kindesschutzverfahren ist in dieser Revision nicht vorgesehen. Kinderrechte.ch kritisiert, dass die Kindesschutzbehörden auch im revidierten Gesetz die Interessen aller Involvierten – des Kindes, der Eltern, der Behörden – berücksichtigen muss. Sie bleiben, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet werde, allparteilich und familienzentriert, nicht kindszentriert und können deshalb nicht gleichzeitig die Rolle des «Anwalts des Kindes» einnehmen. Embryo, dem eine Zelle entnommen wird. Patientenverfügung Neu werden Patientenverfügungen in der ganzen Schweiz als Willenserklärungen anerkannt. Darin kann man festlegen, welchen medizinischen Massnahmen man zustimmt oder welche Vertrauensperson darüber entscheiden soll. Sie muss schriftlich (nicht handschriftlich) errichtet, datiert und unterzeichnet sein. Bestand und Hinterlegungsort können neu auf der Krankenversicherungskarte vermerkt werden. Nahe Angehörige haben künftig das Recht, die Erwachsenenschutzbehörde anzurufen, wenn einer Patientenverfügung nicht entsprochen wird oder wenn die Interessen der urteilsunfähigen Person sonst wie gefährdet sind. Wechselfälle des Lebens: Wegleitungen Aufgeklärte Menschen denken voraus, informieren sich, übernehmen Verantwortung für sich und sorgen vor. Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz bietet verschiedene Wegleitungen an als Hilfe in schwierigen Lebenssituationen, bei wichtige Entscheidungen und an Wendepunkten des Lebens: Sie finden auf unserer Webseite Musterbriefe, Anleitungen und Checklisten oder Verweise auf spezialisierte Organisationen: Danke! Vertretung: Familien vor Behörde Das Gesetz erleichtert es Ehegatten und dem/der eingetragenen PartnerIn einer urteilsunfähigen Person, diese bei den täglichen Geschäften – wie etwa Geld abheben oder die Post öffnen – zu vertreten. Wenn die betroffene Person weder einen Vorsorgeauftrag noch eine Patientenverfügung erlassen hat, haben die Angehörigen zudem das Recht, sie zu vertreten und über medizinische Belange zu entscheiden, und zwar in dieser Reihenfolge: per Vorsorgeauftrag bestimmte Person, Beistand, Ehegatten/Lebenspartner, Kinder, Eltern und Geschwister. Sie ersetzen die bisherigen Instrumente (Vormundschaft, Beiratschaft und Beistandschaft) und sollen gewährleisten, dass die staatliche Betreuung auf das Notwendige beschränkt wird, also nach Situation und Bedürfnis unterschiedlich intensiv ausgestaltet ist. Differenzierte Beistandschaften Schutz von urteilsunfähigen Heiminsassen Neu müssen die Leistungen der Pflegeeinrichtung sowie die Kosten in einem Betreuungsvertrag vereinbart werden. Das ist Aufgabe der nächsten Angehörigen. Zudem werden die Voraussetzungen, unter denen die Bewegungsfreiheit von Heiminsassen eingeschränkt werden darf, im Gesetz genannt (um eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritter abzuwenden oder eine schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens zu beseitigen) und soll die Aufsichtsbehörde auch unangemeldet Besuche durchführen können, um allfällige Missstände bei der Betreuung aufzudecken. Revidiert und umbenannt wurde auch der fürsorgerische Freiheitsentzug. Zwangseinweisungen in eine «geeignete Einrichtung» sind wegen psychischer Störung, geistiger Behinderung oder schwerer Verwahrlosung zulässig. Die betroffene Person hat aber neu das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen. Fürsorgerische Unterbringung ☛ Kirchenaustritt Informationen, Antworten auf häufig gestellte Fragen, mehrsprachig Austrittsformulare DE, FR, IT, EN, SP, HR ☛ Notfallcheckliste Vorsorge für Alleinstehende ☛ Vorsorgeauftrag Informationen und Vorschlag zur Abfassung eines Auftrags im Sinne des ab 1.1.2013 im Gesetz vorgesehenen Instruments der Selbstbestimmung für den Fall der persönlichen Entscheidungsunfähigkeit. ☛ Patiententestament Ab 1.1.2013 gelten Patiententestamente in allen Kantonen als verbindliche Willenserklärungen. Das medizinische Personal ist verpflichtet, das Patiententestament anhand der Angaben auf der Krankenversicherungskarte anzufordern. Auf der FVS-Webseite finden Sie die Links zu den Webseiten der Stiftung DialogEthik und des Vereins Exit, die beide vorformulierte Patiententestamente anbieten, auch für besondere Fälle wie Krebs und Parkinson. ☛ Organspende Informationen und zweisprachige Organspendeausweise ☛ Körperspende Informationen und Adressen in der Schweiz ☛ Sterbehilfe Adressen in der Schweiz ☛ Todesfall Informationen über die notwendigen Massnahmen im Falle des Todes einer nahestehenden Person. Wichtig: Erneuern Sie Ihre Willenserklärungen alle paar Jahre und sprechen Sie mit Ihren Nächsten darüber. Sie erhöhen damit die Sicherheit, dass Ihr Wille als aktuell betrachtet und umgesetzt wird! frei denken. 4 I 2012 11 Reta Caspar Organentnahme «Die Frage ist dem Menschen zumutbar» Wer sagt, dass Menschen aus «Mangel an gespendeten Organen» sterben, hat bereits Position bezogen: für die Sozialpflicht unseres Körpers. Trotzdem ist eine Widerspruchslösung bei der Organentnahme sinnvoll, weil der persönliche Wille nur so auch international wirksam geäussert werden kann. «Mehr Organe braucht das Volk» titelten kürzlich Schweizer Zeitungen mit dem Hinweis, dass jeden dritten Tag in der Schweiz ein Mensch sterbe, weil kein lebensrettendes Organ für ihn zur Verfügung stehe. Swiss Transplant spricht sich deshalb für einen Regimewechsel von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung aus. Menschen sterben aber nicht an einem Mangel an Organen – sie haben genug Organe, sie leiden jedoch an deren tödlichen Erkrankung. Wer von Mangel spricht, der impliziert, dass es eine moralische Pflicht gibt, anderen Menschen Organe zu schenken. Eine solche Pflicht besteht jedoch nicht, weder rechtlich noch moralisch. Jede/r muss sich selber darüber klar werden, ob die eigenen Organe anderen zur Verfügung gestellt werden sollen und ob man selber fremde Organe erhalten möchte oder nicht. In der Schweiz gilt bei der Organtransplantation die erweiterte Zustimmungslösung: eine persönliche Zustimmung oder die der nächsten Verwandten ist notwendig. Wer hier aber generell den Begriff «Spende» bemüht, verschleiert, dass nur gerade 5 Prozent der Menschen, denen Organe entnommen werden, sich wirklich selber dafür ausgesprochen, also eine echte Spende verfügt haben. Die restlichen «Spenden» sind ein Mythos: Die Organe stammen in 95 Prozent der Fälle von Hirntoten, bei denen die Verwandten einer Organentnahme zugestimmt haben, es sind also Verfügungen von anderen Menschen. Einzelne Länder, etwa Frankreich, Österreich oder Griechenland, kennen schon seit Langem die sogenannte Widerspruchslösung. Wer sich nicht ausdrücklich dagegen wehrt, von dem wird angenommen, dass er zur Organentnahme bereit ist – auch bei Ausländern, etwa bei Unfallopfern. Mit der Widerspruchslösung wird jede/r von uns grundsätzlich zum Organ-Ersatzteillager. Es wird zwar keine moralische Pflicht, sondern eine administrative Norm statuiert, von «Spende» kann aber natürlich keine Rede mehr sein. Die Mehrzahl der Länder hat «erweiterte» Zustimmungs- oder Widerspruchslösungen, die den nahen Verwandten ein Mitspracherecht einräumen. Etwas lahm kommen die in den Medien kolportierten Bedenken der nationalen Ethikkommission daher: Es lasse sich nicht nachweisen, dass die explizite Zustimmung der Grund sei, weshalb in gewissen Ländern viele Organe gespendet würden und es bestehe auch die Gefahr, dass nur Gebildete informiert genug sind, um Widerspruch gegen Organspenden einzulegen. Ersteres ist jedoch kein ethisches Argument und letzteres gilt für sämtliche medizinischen Eingriffe. Viel gefährlicher wird es für weniger gebildete und durchsetzungskräftige Menschen, wenn – wie vom Bundesamt für Gesundheit angetönt – allenfalls spezialisierte Mitarbeiter ausbildet werden, die in den Spitälern mehr Leute zum Spenden bewegen sollen. Von einem reiflich überlegten Entscheid kann dann wohl gar nicht gesprochen werden. Bei einem Wechsel zur Widerspruchslösung muss sich jede/r mit dem Thema Organtransplantation beschäftigen. Ist das zumutbar? Ja, angesichts der medizinischen Möglichkeiten gibt es kein wirksames Recht auf Ignoranz mehr: Wer nicht für sich entscheidet, lässt andere über sich entscheiden. Ja, weil wer nicht selber entscheidet, den Entscheid allenfalls seinen Kindern und Lebensgefährten zumutet. Ja, weil die Konsequenz von medizinischem Fortschritt und internationaler Mobilität lautet (frei nach Ingeborg Bachmann): «Die Frage ist dem Menschen zumutbar.» frei denken. 4 I 2012 Die existenzielle Frage, ob das Konzept des «Hirntodes» überzeugt, der Voraussetzung für eine Organentnahme ist. Organe von Herztoten, insbesondere wenn sie zu Hause gestorben sind, sind für die Medizin wertlos. Die soziale Frage der Verantwortung für den eigenen Körper und der Entlastung der Angehörigen von einem existenziellen Entscheid in einer für sie sowieso schon dramatischen Situation. Aber auch die politische Frage, wie weit man nämlich den in der Transplantationsmedizin verbundenen Institutionen trauen kann – der kürzlich publik gewordene Skandal in Göttingen, wo ein Arzt Patientendaten in den Wartelisten manipuliert hatte, liess aufhorchen. Anfang 2013 will das Bundesamt seinen Bericht vorlegen, der sich auch ausführlich mit der Widerspruchslösung befassen wird. Eine allfällige Gesetzesänderung dürfte Jahre in Anspruch nehmen. Aber so lange sollte niemand zuwarten. Es gibt kein richtig oder falsch, aber es gibt Spenderkarten, sogar online, mittels derer in einer Minute eine klare Willenserklärung ausgedruckt werden kann und morgen wieder anders, falls der Entscheid anders ausfällt – wer es nicht tut, muss als feige gelten. Auf jeden Fall aber braucht es Dokumente, die international lesbar sind. Ein so lebenswichtiges Dokument bietet im internationalen Kontext nur mit englischer Übersetzung genügend Sicherheit. Da hat auch SWISS TRANSPLANT die Hausaufgaben noch nicht gemacht. Deren Webseite gibt zwar den Anschein, auch auf Englisch zu beraten, tatsächlich werden Infos und Formular aber lediglich auf Deutsch und Französisch angeboten. Nicht mehr Organe braucht das Land, sondern mehr Aufklärung, damit die BürgerInnen einen wohl überlegten Entscheid fällen und auch international wirksam erklären können. www.swisstransplant.ch 12 Gedanken unter dem Sternenhimmel In einer sternenklaren Nacht denken Mira und Papa über grosse Fragen der Menschheit nach – mit Staunen und Bescheidenheit. Mira ist sehr aufgeregt! Denn Papa hat ihr versprochen, dass sie heute Abend etwas ganz Besonderes machen. «Jetzt sag schon, Papa, was machen wir?» «Also liebe Mira, ich schlage vor, dass wir auf unseren Lieblingshügel wandern und dort unter dem Sternenhimmel übernachten. Hast du Lust?» «Das klingt toll, unter freiem Himmel übernachten, das habe ich noch nie gemacht! Los, gehen wir!» Nach einer kurzen Wanderung erreichen sie das Ziel. Mira und Papa setzen sich auf einen grossen Stein und lassen den Blick über die umliegenden Berge schweifen, die von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet werden. Als sich der Horizont tiefrot verfärbt, der Mond auftaucht und es langsam kälter wird, schlüpfen sie in den Schlafsack. Es ist ganz still. Etwas mulmig ist es Mira schon und sie rückt ganz nahe zu Papa. Je dunkler es wird, desto mehr Sterne können sie erkennen. Mira staunt: «Das sind ja viele Sterne! Hast du sie schon einmal gezählt?» «Nein, denn es sind so unvorstellbar viele, dass sie die Menschen nicht zählen können. Einige Sterne sind auch so weit weg, dass wir sie wohl nie entdecken werden.» «Und wer hat denn all diese Sterne gemacht?» «Das weiss ich nicht, liebe Mira. All diese Sterne sind irgendeinmal aus dem Nichts entstanden, so wie auch unsere Erde. Wie, das ist ein grosses Rätsel. Diesem Rätsel geben viele Menschen den Namen Gott.» Während sie beide daliegen – verzaubert von dieser Nacht – fragt Mira weiter: «Hat denn Gott diese Sterne extra für uns gemacht?» Papa überlegt einige Zeit. Dann antwortet er: «Nehmen sich die Menschen nicht ein bisschen zu wichtig, wenn sie denken, dass die Sterne nur für sie gemacht worden sind?» «Wahrscheinlich schon», antwortet Mira nachdenklich. «Ich glaube, die Sterne sind für alle da», fährt Papa fort. «Für die Menschen, Tiere, Pflanzen und wahrscheinlich noch für viele mehr. Denn unsere Erde ist nur ein winziger Punkt im ganzen Universum. Wer weiss, wer jetzt im Weltall die Sterne auch beobachtet ...» Mira betrachtet die unendliche Weite dieses Nachthimmels mit seinen unzähligen Sternen und glaubt zu verstehen, was Papa meint. Plötzlich entdeckt Mira eine Sternschnuppe. «Papa, schau da! Der Nachthimmel ist so schön, da müsste Gott eigentlich Eintritt verlangen», scherzt Mira. Papa muss lachen: «Ja, das finde ich auch, aber anscheinend sind wir seine Gäste ...» «... Gäste, die den Gastgeber nicht kennen ...», sagt Mira etwas traurig. «Ja, Mira, das ist schon komisch. Leider streiten sich auch viele Menschen darüber, wer der Gastgeber ist. Aber brauchen wir denn überhaupt eine Antwort? Freuen wir uns doch einfach über dieses Geschenk.» «Du hast recht, Papa!» In der Zwischenzeit ist es ganz dunkel geworden und Abertausende Sterne sind zum Vorschein gekommen. Staunend schauen Mira und Papa in den Nachthimmel. «Leben die Menschen eigentlich auch wie Gäste?», fragt Mira nach einer Weile. Papa überlegt laut, was ein guter Gast ist: «Also, ein Gast sollte sich über die Einladung freuen, die anderen Gäste nett behandeln und nicht gierig sein. Nein, Mira, ich glaube, als Gäste verhalten sich leider nicht alle Menschen, ich auch nicht immer.» «Aber wir versuchen, bessere Gäste zu werden, oder, Papa?» «Ja, das machen wir, abgemacht, Mira!» Papa gibt Mira einen Gutenachtkuss und bald schlafen beide an diesem besonderen Flecken Erde ein – unter einem wunderbaren Raphael Weiss Sternenhimmel. Freidenker-Umschau Deutschland Konfessionsfreie Kinder müssen in den Religionsunterricht Zwei sechsjährige Kinder müssen gegen den Willen der Mutter vorläufig am Religionsunterricht des ersten Schuljahres teilnehmen. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln in einem Fall entschieden, in dem die Eltern sich über die Teilnahme nicht hatten einigen können. Das erstinstanzliche Amtsgericht (AG) hatte dem Vater die Entscheidung über eine Teilnahme am Religionsunterricht und den Schulgottesdiensten übertragen. Der Vater befürwortet eine solche Teilnahme. Die Mutter legte Beschwerde ein und beantragte aufschiebende Wirkung auf den amtsgerichtlichen Beschluss. Das OLG Köln hat diesen Antrag zurückgewiesen und hat die Auffassung vertreten, dass eine vorläufige Teilnahme der Kinder an Schulgottesdiensten und Religionsunterricht dem Kindeswohl entspricht. Es bestehe keine Gefahr, dass die konfessionslosen Kinder hierdurch bis zur abschliessenden Klärung in der Hauptsache Schaden nehmen. Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 10.09.2012, 12 UF 108/12, unanfechtbar . Frankreich Laizistische Moral existiert nicht Der französische Bildungsminister Vincent Peillon hat die Absicht geäussert, laizistische Moralkurse in den Schulen zu etablieren. Dies mit dem Ziel, den Schülern beizubringen, wie man sich in der Gesellschaft zu verhalten hat. Die französischen Freidenker der «Fédération Nationale de La libre Pensée» lehnen dieses Vorhaben mit der Begründung ab, dass es keine laizistische Moral gibt. Zwar würden die Kirchen verkünden, dass es eine transzendentale Moral göttlichen Ursprungs gebe, aber die zehn Gebote Moses seien weder moralisch noch religiös, sondern Gebote der Unterordnung und praktische Regeln der gesellschaftlichen Ordnung. Weil es keine religiöse Moral gebe, könne auch keine laizistische Moral existieren. Es gebe nur eine menschliche Moral, die sich mit der Zeit entwickle, die aber immer auf den Notwendigkeiten des sozialen Lebens beruhe. Mit der Anwendung des Begriffes «laizistische Moral» würde zudem die Trennung von privaten und öffentlichen Sphären und die Neutralität des Staates im philosophischen Bereich aufgehoben. www.fnlp.fr Italien Richter Luigi Tosti freigesprochen 2005 weigerte sich der italienische Richter Luigi Tosti in einem mit einem Kruzifix geschmückten Raum Recht zu sprechen, da die Gerechtigkeit, unabhängig von Meinung und Religion, für alle gleich sei. Seitdem musste er repressive Massnahmen aller Art ertragen und wurde zu sieben Monaten Gefängnis und einem Jahr Berufsverbot ohne Gehaltszahlung verurteilt. Mit als Folge einer internationalen Solidaritätsaktion wurde der Richter nun Anfang Juli 2012 durch das Berufungsgericht von Aquila freigesprochen. www.hpd.de/node/13772 EuGH: Verfolgung wegen religiöser Handlungen ist Fluchtgrund Bestimmte Formen schwerer Eingriffe in das Recht auf Religionsfreiheit stellen Verfolgungshandlungen dar, welche die zuständigen Behörden verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Das hat der EuGH mit Urteil vom 5.9.2012 festgestellt. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung darstellen können, gehören auch solche in die Freiheit, seinen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des Rechts auf Glaubensfreiheit als Verfolgung anzusehen ist, richtet sich danach, wie gravierend die Massnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können, so der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil. (Az. C 71/11 und C 99/11) Raphael Weiss, *1980, ist Soziologe und Lehrer für den allgemein bildenden Unterricht (ABU) am gewerblich-industriellen Bildungszentrum Zug. Er ist verheiratet und Vater eines Kindes. frei denken. 4 I 2012 13 Denkfest 2012 Welcher Gesellschaftsvertrag für die Schweiz von heute? 1762, also vor 250 Jahren, erschien Rousseaus grosses Werk «Du Contrat Social» in Amsterdam und wurde sogleich in den Niederlanden, Frankreich, Genf und Bern verboten. Klangen Rousseaus Thesen damals noch zu aufrührerisch, entwickelte sich sein Werk trotzdem zu einem Schlüsselwerk der Aufklärungsphilosophie und war ein Wegbereiter der modernen Demokratie. Wie sieht der Gesellschaftsvertrag der heutigen Schweiz aus? Jacqueline Badran (SP), Philipp Kutter (CVP), Dieter Kläy (FDP) und Claudio Zanetti (SVP) stellten sich dieser Diskussion, welche von Raphael Zehnder (Redaktor Gesellschaft und Multimedia DRS 2) geleitet wurde. Der ebenfalls eingeladene Jo Lang (Grüne) war krankheitshalber verhindert. Urs Marti führte in die Thematik des Gesellschaftsvertrags ein und nannte den Gesellschaftsvertrag ein «gegenseitiges Abkommen von rationalen Egoisten», welche sich von diesem Vertrag Schutz ihrer Person und ihres Eigentums erhofften, eine Rechtsgleichheit aller sowie die grösstmögliche Freiheit als Bürger. Dafür gaben sie ihre absolute Freiheit als Einzelne zugunsten eines volonté générale auf. Der allgemeine Volkswille heute Bei der Frage, wer den allgemeinen Volkswillen heute definiere, schieden sich die Geister. Jacqueline Badran verwies mit einem Lachen auf die SVP, was von Claudio Zanetti mit einem bedauernden «Schön wär’s» quittiert wurde. Auch sonst kam es zu den absehbaren parteipolitischen Spitzfindigkeiten zwischen den Diskutierenden. Grundsätzlich war man sich aber einig, dass sich der allgemeine Wille in einer direkten Demokratie wie der Schweiz anhand der Abstimmungen zeige. Bedauerlich sei da die oft geringe Beteiligung der Stimmbürger. Nach Zanetti ist die totale Einigkeit ein unerreichbares Ideal, als realistisch sah er eine Einigkeit in den wichtigen Grundfragen, wachsende bei Detailfragen. «Wir diskutieren zu viele Kleinigkeiten und vergessen dabei die grossen Belange», konstatierte der SVPPolitiker. Dieter Kläy sah einen Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit der Fragen und der Stimmbeteiligung: «Je wichtiger die Entscheidung, desto mehr gehen zur Urne.» sich: «Die Verfassung sollte die Schranke sein, Vorstösse, die gegen die Verfassung sind, sollten unmöglich sein!» Gerade da sah sie aber – mit einem Seitenblick auf Claudio Zanetti – das Problem. Eine weitere Problematik stellt in ihren Augen die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit dar. Einig waren sich alle Politiker darin, dass vernünftige Entscheide die wären, welche gemeinsam getroffen werden, realistisch sind und am Schluss allen dienen. Grenzen der persönlichen Freiheit Durch den Staatsvertrag entäussert sich der Bürger seiner individuellen und absoluten Freiheit. Dafür erhält er eine bür- Kann das Volk irren? Die Möglichkeit, dass das Volk bei einem Entscheid irrt, ist durchaus da, allerdings gibt es Jacqueline Badran (SP), Philipp Kutter (CVP), Raphael Zehnder (Moderation), Dieter Kläy (FDP), Claudio Zanetti (SVP) Schranken, welche die Entscheidungen begrenzen. Eine dieser Schranken ist der Rechtsstaat. Philipp Kutter gab sich zuversichtlich: «Solange in der Schweiz gerliche, begrenzte Freiheit. Claudio Zanetti sah die Aufgabe eine Einigkeit über die rechtsstaatlichen Grundsätze herrscht, des Staates in der Wahrung weniger Grundsätze (u. a. Schutz sind wir auf gutem Kurs.» Claudio Zanetti doppelte nach, dass des Lebens und des Eigentums). Innerhalb dieser Grundsätze Demokratie immer als Diskurs funktioniere und so lange diesolle die Freiheit des Einzelnen nicht angetastet werden, so ser offen geführt werde, seien grosse Irrtümer nicht möglich. lange sie die Freiheit des Nächsten nicht beeinträchtigt. Dem Jacqueline Badran gab sich weniger zufrieden und ereiferte schloss sich auch Dieter Kläy an und fügte noch Grundpflichten an, welche jeder zu tragen habe (z. B. die Steuerpflicht). Philipp Kutter beklagte die immer grössere Regulationsdichte, welche er unter anderem auf die immer grössere Bevölkerungsdichte Rückblick auf das Programm 2012 zurückführte. Je näher die Menschen leben, desto mehr Rück300 Jahre Jean-Jacques Rousseau sicht fordere das Zusammenleben. «Erlaubt ist, was nicht stört», lautete Kutters einprägsame Formel. Rousseaus Rezeption in Zürich 1751–1781 Monika Wicki Erziehungswissenschafterin HfH Leben Sie wohl für immer Szenische Lesung zu Rousseaus Disput mit David Hume, mit Rebekka Burkhardt, Bernhard Bettermann, Hansrudolf Twerenbold Jean-Jacques Rousseau und das Böse Urs Marti Professor für politische Philosophie UZH Politik, schwer zu begreifen und mühsam zu betreiben Szenische Lesung zum Contrat Social, mit Bernhard Bettermann und Hansrudolf Twerenbold Podiumsdiskussion zum Gesellschaftsvertrag www.denkfest.ch Der heutige Gesellschaftsvertrag? Der Gesellschaftsvertrag für eine Schweiz von heute sollte – fasst man die einzelnen Voten der Diskutierenden zusammen – die individuelle Freiheit so wenig wie möglich einschränken und liberale Grundwerte hochhalten. Des Weiteren sollte das Bewusstsein für eine Verantwortung über die Generationsgrenzen hinaus geschärft werden. Schutz der Person und des Eigentums sowie Rechtsgleichheit stellen die weiteren Pfeiler dar. Damit wären theoretisch alle Parteipolitiker zufrieden, die Geister scheiden sich erst bei den Detailfragen. Sandra Matteotti frei denken. 4 I 2012 14 I Lesen Menschenwürde neu verstehen? Der Erlanger Philosoph und Nietzsche-Exeget Lorenz Sorgner untersucht auf rund 260 Seiten Aspekte der Geschichte des Begriffs der Menschenwürde mit Blick auf dessen Verwendung in Verfassungen, insbesondere der BRD, und dessen Bedeutung bei der Debatte ethischer Fragen am Lebensanfang und Lebensende. Nach dem Überblick über die historischen Konzepte der Menschenwürde bei Cicero, Manetti, Mirandola und Kant beschäftigt sich der zentrale Teil des Buches mit Nietzsches Kritik an der «notwendigen» Menschenwürde, die auch heute in der Debatte dominiert und die auf vier Irrtümern beruhe: 1. Auf der Unvollständigkeit der (Selbst-)Erkenntnis 2. Auf der Erfindung von menschlichen Eigenschaften, z. B. des freien Willens, der immateriellen Seele und der Gottebenbildlichkeit 3. Auf der falschen Rangordnung gegenüber Tier und Natur 4. Auf der Erfindung von ewigen und unbedingten Gütertafeln der Moral Anschliessend analysiert der Autor die «kontingente» Menschenwürde etwa von Habermas. Auch dieser Begriff geht von der Sonderstellung des Menschen aus, zusätzlich aber auch von der Gleichstellung aller Menschen. Dies habe Nietzsche implizit auch kritisiert, weil der Gleichheitsanspruch seiner Vorstellung einer Hierarchisierung der Gesellschaft widerspreche. Wenn die Gleichheit aber nicht als ewige Wahrheit, sondern deskriptiv und kontingent im Sinne eines Ergebnisses des Kampfes zwischen verschiedenen Interessengruppen verstanden werde, sieht Sorgner eine mögliche Synthese dieser Errungenschaften der Aufklärung und Nietzsches Kritik an der Sklavenmoral. Freiheit und Gleichheit seien erkämpft worden, damit Individuen die Möglichkeit haben, ihren Vorstellungen des guten Lebens nachzugehen. Diese Position werde auch von einer Mehrheit der BürgerInnen der westlichen Industrienationen geteilt. Abschliessend spricht sich der Autor – wie schon 1998 Franz Josef Wetz – dafür aus, «Menschenwürde» als Begriff beizubehalten, aus pragmatischen Gründen, weil er so weit akzeptiert ist, aber er fordert zur gezielten Revision auf: Der Begriff soll von seinen metaphysischen Konnotationen befreit und in einen graduellen Begriff transformiert werden hin zu einer Würde des «Posthumanen», in dem sich ein neues Bild des Menschen manifestiere, der sich nicht mehr kategoriell von anderen Wesen unterscheidet, sondern nur graduell. In Diskussionen gelte es, intellektuell redlich zu bleiben und stets auf die tatsächlich relevanten Normen, vor allem auf die negative Freiheit (vor dem Zwang anderer) und die Gleichheit, zu rekurrieren und sich bei der Erstellung von neuen Normen zusätzlich auf die «von uns geteilten Meinungen» abzustützen – allerdings «im Zweifel für die Freiheit». Das Buch ist umfangreich, aber es ist übersichtlich aufgebaut und verständlich geschrieben. Die Einleitungstexte der verschiedenen Kapitel ermöglichen es den Lesenden, nach Belieben an einem gerade interessierenden Punkt einzusteigen und sich dann in erweiternden Kreisen den Rest des Buches zu erschliessen. Dabei erhält man einen vertieften Einblick in Nietzsches Gedankenwelt, etwa in seinen Begriff des Übermenschen – der evolutionären Weiterentwicklung des Menschen –, der in der Transhumanismusdebatte, in welcher der Autor engagiert ist, neue Aktualität erhält. Stefan Lorenz Sorgner Menschenwürde nach Nietzsche Die Geschichte eines Begriffs Verlag WBG, 2010, ISBN 978-3534209316, auch als E-Book Reta Caspar Gute Argumente? Jüdische Stimmen hätten nicht die guten Argumente gebracht in der Beschneidungsdebatte. Es hätte die Reflexion gefehlt, sowohl über die Beschneidung als Phänomen der jüdischen Geschichte wie auch über die Argumente der Gegner. Darin mag man dem Autor ohne Weiteres beipflichten, wenn man die Auftritte der Vertreter der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands in den letzten Wochen am Fernsehen mitverfolgt hat. Bodenheimer will diese Reflexion in seinem Essay leisten. Im Abriss der Geschichte nennt der Autor zwar Beispiele für die Flexibilität jüdischer Gesetze. Das Festhalten an der Beschneidung beschreibt er dann aber als bewussten Akt der Differenz: Sie sei die Selbstkennzeichnung eines Kollektivs. Dieser Rückzug auf das Eigene stehe aber für Pluralität und friedliche Koexistenz, weil die eigene, defensive Religion niemandem aufgedrängt werde. Und zudem sei sie auf den Mann beschränkt – für Juden ein kategorieller Unterschied: Unversehrtheit sei das Merkmal der Frau. Zuzustimmen ist ihm, wenn er die Rede vom «christlich-jüdischen Erbe» als Formel der Konservativen zur Abgrenzung gegen den Islam bezeichnet, und zweifellos relevant sind Fragen, die er stellt: Was ist die Beziehung zwischen Gesellschaft und Individuum? Was bedeutet Religionsfreiheit? Wie viel Parallelkultur verträgt eine Gesellschaft? Gibt es ein Gewohnheitsrecht für überkommene kulturelle Bräuche? Aber Bodenheimer ist der Meinung, die christliche Prägung der Debatte sei stärker als es die Beschneidungsgegner selbst wahrnehmen würden, die Ablehnung der Beschneidung diene der Selbstbestätigung der Mehrheit, wie schon seit dem frühen Christentum. «Haut ab» soll bedeuten: Juden empfinden die Debatte selbst bereits als Ablehnung, die Christen andererseits würden das Judentum auf die Beschneidung reduzieren. Hier dürfte der Autor allerdings schräg liegen. Der Konflikt besteht nicht mehr zwischen christlicher Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, sondern als Auseinandersetzung in einer säkularen Gesellschaft, in der sich eine Mehrheit von Religionen distanziert. Da ging nicht plötzlich die Toleranz der Christen verloren – die Kirchen haben sich ja umgehend solidarisiert –, sondern es kam die bestehende Distanz der parallelen Kulturen ans Licht, die mangels Kontakt kaum wahrgenommen worden ist. Auch der Schreibenden ist durch die Lektüre des Essays die Fremdheit bewusster geworden, und sie vermutet, dass das auch vielen Juden so ergehen dürfte. Ein möglicher Anfang für eine Debatte? Für Bodenheimer scheint sie bereits gelaufen zu sein. Das Büchlein scheint er vor allem für Juden geschrieben zu haben – ihnen will er Argumente liefern: Rückzugsargumente? Reta Caspar Alfred Bodenheimer Haut ab! Die Juden in der Beschneidungsdebatte Verlag Wallstein, 2012, ISBN 978-3835312449 Religionen, Staat und Gesellschaft Das Buch fasst die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms (NFP 58) «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» des Schweizerischen Nationalfonds zusammen. Im NFP 58 wurde zwischen 2007 und 2010 die weltanschauliche Landschaft der Schweiz analysiert, mit drei Zielen: Die grundlegenden Veränderungen in der Religiosität der einzelnen Menschen und der Gesellschaft als Ganzes sollten nachgezeichnet und die Interaktionen zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen Bereichen durchleuchtet werden; es sollten praxisrelevante Einsichten über nötige Konsequenzen dieser Veränderungen erarbeitet werden; und es sollte aufgezeigt werden, was für ein gelingendes Zusammenleben der verschiedenen weltanschaulichen Gruppen in der Schweiz notwendig ist und wie Konflikte vermieden werden können. Ein vergleichbar differenziertes Bild der religiösen Landschaft eines Landes gibt es bisher in keinem westeuropäischen Land. Dieses Buch ist mehr als eine blosse Zusammenstellung der einzelnen Projektresultate, es stellt eine Synthese dieser 28 Einzelprojekte dar. Dabei werden die Teilprojekte durch übergreifende Diskurse in Verbindung gebracht und durch konkrete Empfehlungen an staatliche und andere Institutionen ergänzt. Letztere sollten durch gut informierte Freidenker kritisch und differenziert diskutiert werden, unter uns ebenso wie durch Teilnahme am öffentlichen Diskurs. Prädikat: unbedingt lesenswert! Maja Strasser Christoph Bochinger (Hrsg.) Religionen, Staat und Gesellschaft Die Schweiz zwischen Säkularisierung und religiöser Vielfalt Verlag NZZ, 2012, ISBN 978-3-03823-758-7 Philosophie Magazin – auf Deutsch 2006 wurde in Frankreich das Monatsmagazin Philosophie lanciert, das sich explizit an ein nicht akademisches Publikum wendet. Es stellt einerseits zeitgenössische Denker und Denkerinnen und ihre Positionen zu aktuellen Themen vor, und befragt andererseits auch Klassiker zu spezifischen Themen. Dabei soll kein Zweifel für tabu erklärt werden. Derzeit liegen die ersten sechs Ausgaben vor. Sie sind in der Schweiz im Handel noch kaum erhältlich. Das Jahresabo für die Schweiz kostet 46 Euro. www.philomag.de frei denken. 4 I 2012 Agenda I 15 frei denken uni basel Ab 19. September wieder jeden Mittwoch um 19:00 im Vesalianum, Vesalgasse 1, 4052 Basel Basel Jeden letzten Freitag im Monat 19:00 Freie Zusammenkunft 1.–3. Freitag im Monat 19:00 Annemarie Pieper: «Einführung in die Ethik» Kontakt: Georges Rudolf 079 391 72 45 Samstag, 5. Januar 2013 Einladung folgt Restaurant Spillmann Eisengasse 1 Restaurant Antalya Leonhardsgraben 8 Restaurant Sukothai Bachlettenstrasse 19 FUB: Lesegruppe 03.10.2012 Giving What We Can Kann ich die Welt effektiv verbessern? 10.10.2012 Pimp my Baby! Präimplantationsdiagnostik 17.10.2012 Bedingungsloses Grundeinkommen Mit Daniel Häni 24.10.2012 Legalize it? Cannabis and Drug Politics 31.10.2012 Der Fall Abgottspon Trennung von Kirche und Staat mit Valentin Abgottspon 07.11.2012 Wie man sich selbst überlistet Kognitive Biases und die Fehlbarkeit des Gehirns 14.11.2012 Arzt, Bankerin oder Entwicklungshelfer? Ethics of Career Choice 21.11.2012 Endstation Greenwashing Crashkurs zum Thema Nachhaltigkeit 24.11.2012 Freidenker-Symposium (10:00–18:00, anschliessend Party) 28.11.2012 Evolutionärer Humanismus Aufklärung im 21. Jahrhundert 05.12.2012 Democracy 2.0 Positionen der Piratenpartei 12.12.2012 The Bayesian Revolution Ein Wahrscheinlichkeitstheorem verändert die Wissenschaft 19.12.2012 Was hat Weihnachten mit Quantenmechanik zu tun? Mit Glühwein www.freidenken-unibasel.ch NWS Neujahrs-Apéro Gäste willkommen! Bern Montage, 22.10.; 19.11.; 17.12. 19:00 Treff für Mitglieder und Interessierte Sonntag, 2. Dezember Restaurant National Hirschengraben 24 Einladung folgt per Briefpost Jahresend-Anlass für Mitglieder und Gäste Ostschweiz Stamm Mittwoch, 7. November 10:30 Restaurant Dufour beim HB St. Gallen Solothurn /Grenchen Samstag, 17. November 14:00 Spuren unserer Ahnen Besuch des Anthropologischen Museums in Zürich Einladung folgt per Briefpost www.freidenker-grenchen.ch Wallis FR 5.10.; MI 7.11.; FR 7.12. 19:00 Abendhock Restaurant Traube Visp Winterthur Stamm Donnerstage, 25.10.; 29.11. 19:00 Restaurant Schützenhof Schützenstrasse 8, Winterthur Lesegruppe Franz Rueb leitet eine Lesegruppe in Winterthur. Interessierte kontaktieren ihn direkt via franzrueb.ch. Zentralschweiz Samstag, 27. Oktober 17:00 Einladung folgt Filmabend im Home cinema Samstag, 8. Dezember 17:00 Einladung folgt Root (LU) Details auf www.frei-denken.ch Jahresend-Apéro Restaurant Bellini Murbacherstrasse 4, Luzern Zürich Darf man Knaben beschneiden? In den deutschen Medien wird seit Wochen intensiv über diese Frage debattiert. In der Schweizer Medien wurde die deutsche Kontroverse verfolgt, aber abgesehen von isolierten Meinungsdarstellungen nicht wirklich lanciert. Mit dem Sukkurs der «Landeskirchen» für die Beschneidung und der Aufhebung des Moratoriums am Zürcher Kinderspital war das Thema für die Medien erledigt. Grund für die Zürcher Freidenker, Vertreter aus verschiedenen Interessengruppen der Schweiz einzuladen und mit ihnen das Thema auszuleuchten. Donnerstage, 11.10.; 8.11.; 13.12. 19:30 Abendtreff Dienstag, 6. November 19:30 Sphères Hardturmstrasse 66 Universität Zürich Details auf www.frei-denken.ch «Darf man Knaben beschneiden?» Samstag, 17. November 14:00 Spuren unserer Ahnen Besuch des Anthropologischen Museums Sonntag, 9. Dezember 11:00 Eine Veranstaltung der FreidenkerInnen Solothurn/Grenchen Details folgen auf www.freidenker-grenchen.ch Jahresendessen Montag, 10. Dezember 14:30 Einladung folgt per Briefpost «Menschenrechte ohne Demokratie?» Lesung mit Gret Haller zum Menschenrechtstag. Die ehemalige Nationalrätin und Menschenrechtsbeauftragte der OSZE für Bosnien und Herzegowina liest aus ihrem neuen Buch. Freitag, 21. Dezember 2012 20:00 Dienstag, 6. November 2012 19:30, Universität Zürich Eingangsreferate: Recht: Marcel Küchler Jurist, Freidenker Medizin: N.N. Podiumsgespräch mit: Michel Bolag Zürcher Lehrhaus Daniel Goldberg Kinderlobby Schweiz Muhammad Hanel Vereinigung Islam. Org. in Zürich VIOZ Andreas Schneitter Magazin Tachles Markus Theunert Männer.ch Gesprächsleitung: N.N. Details auf www.frei-denken.ch oder bei der Geschäftsstelle: 031 371 65 67. Details folgen auf www.frei-denken.ch Weltuntergangsparty Grosser Vorstand 2012 Samstag, 24. November 10:00-16:00 Olten Freidenkerhaus, Bern Olten Zentralvorstand 2013 Sonntag, 26. Mai 10:00-16:00 Samstage, 2.2.; 6.4.; 8.6.; 17.8.; 12.10. Delegiertenversammlung 2013 Spuren unserer Ahnen Eine neu konzipierte Ausstellung, die wissenschaftlich kompetente Antworten auf die Frage unserer Herkunft gibt. Museum der Anthropologie Universität Zürich, Campus Irchel, Winterthurerstrasse 190, 8057 Zürich Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 12:00-18:00, Eintritt frei frei denken. 4 I 2012 Adressen Trauerfeiern / Rituale Basel: Freidenker Nordwestschweiz Hans Mohler 079 455 67 24 Basel / Nordwestschweiz Freidenker Nordwestschweiz Postfach 260 4010 Basel basel-nws@frei-denken.ch Präsident: H. Mohler 061 261 36 19 Mitgliederdienst: B. Bisig 061 321 31 48 Solothurn / Grenchen Freidenker Solothurn/Grenchen Postfach 217 2545 Selzach grenchen@frei-denken.ch Präsident: S. Mauerhofer 076 478 69 94 Mitgliederdienst: L. Höhneisen 076 539 93 01 Basel: Freidenker-Union Georges Rudolf 079 391 72 45 Bern / Freiburg / Wallis Tony Baumgartner 079 300 20 10 Reta Caspar 079 795 15 92 Freidenker-Union Basel Postfach 4471 4002 Basel basel-union@frei-denken.ch Präsident: G. Rudolf 079 391 72 45 Mitgliederdienst: F. Dürler 061 601 03 23 Ticino Mittelland Hans Mohler 079 455 67 24 Erika Goergen 041 855 59 09 Associazione Svizzera dei Liberi Pensatori (ASLP) Sezione Ticino CP 721 6902 Paradiso ticino@libero-pensiero.ch Ostschweiz Judith Hauptlin 071 891 54 43 Hans Rutishauser 071 646 04 78 Bern Romandie Yvo Caprara 026 660 46 78 Jean-Pierre Ravay 022 361 94 00 FreidenkerInnen Region Bern Postfach 831 3550 Langnau regionbern@frei-denken.ch Präsident: D. Aellig 079 449 54 45 FR Presidente: G. Barella 078 617 82 72 Vaud Ass. vaudoise de la Libre Pensée CP 5264 1002 Lausanne vaud@librepensee.ch Président: Secrétariat: J. P. Ravay 022 361 94 00 026 660 46 78 JU / NE Solothurn / Grenchen L. Höneisen (Koord.) 076 539 93 01 Genève Tessin Erika Goergen 041 855 59 09 Libre Pensée de Genève p.a. Eric Perruchoud 4, rue des Epinettes 1227 Carouge geneve@librepensee.ch Président: E. Perruchoud 022 300 10 17 Wallis / Valais Freidenker Wallis Postfach 118 3922 Stalden wallis@frei-denken.ch Präsident: V. Abgottspon 078 671 08 03 Wallis Melanie Hartmann 078 644 74 72 Winterthur / Schaffhausen Hans Rutishauser 071 646 04 78 Mittelland Zentralschweiz Erika Goergen 041 855 59 09 Freidenker Mittelland Postfach 56 4628 Wolfwil mittelland@frei-denken.ch Präsident: H. Haldimann 062 926 16 33 Winterthur Präsident: Freidenker Winterthur Postfach 1806 8401 Winterthur winterthur@frei-denken.ch K. Schmid 052 337 06 27 Zürich Hans Rutishauser 071 646 04 78 Sollte unter den regionalen Nummern niemand zu erreichen sein, melden Sie sich bei der FVS-Geschäftsstelle: 031 371 65 67. Ostschweiz Zentralschweiz Präsidentin: Freidenker Ostschweiz Sonnenwiesstrasse 11 9555 Tobel/TG ostschweiz@frei-denken.ch Co-Präsident: D. Stricker 071 917 11 88 Co-Präsidentin: J. Hauptlin 071 891 54 43 Freidenker Zentralschweiz Zugerstrasse 35 6415 Arth zentralschweiz@frei-denken.ch G. Annen 041 855 10 59 Adressänderung melden an: FVS / ASLP Zentralkasse Postfach 217 CH-2545 Selzach zentralkasse@frei-denken.ch Zürich Schaffhausen Freidenker Schaffhausen Postfach 3206 3001 Bern schaffhausen@frei-denken.ch Freidenker Zürich Postfach 3353 8021 Zürich zuerich@frei-denken.ch Präsident: A. Kyriacou 044 253 18 96 Mitgliederdienst: A. Erne 043 299 53 36 AZB P.P./Journal CH-2545 Selzach Freidenker-Vereinigung der Schweiz www.frei-denken.ch